Dienstag, 15. Juni 2021

Wie man ein Genie wird

Das Genie, liebe Zielgruppe, wird teils bewundert und teils gefürchtet, erweckt aber immer Interesse. Der nachfolgende Dialog hat sich vor einiger Zeit zwischen mir und einem wissensdurstigen Menschen abgespielt, den wir hier zum Schutze seiner Persönlichkeitsrechte den „Fragensteller“ nennen.


Fragensteller: „Wer hat die Illuminati gegründet?“

Ich: „Adam Weishaupt.“

Fragensteller: „Sind die Freimaurer die Nachfolger der Templer?“

Ich: „Nein.“

Fragensteller: „Was ist die Quersumme von 23? – Schon gut, das hat noch nie einer gewusst.“

Ich, grinsend: „Fünf.“

Fragensteller, fassungslos: „Du bist ein Genie.“


In Wirklichkeit bin ich natürlich kein solches, denn um auch nur die Grenze zum Genie zu erreichen, braucht man einen IQ von 140 und so hoch liegt meiner nicht. Alles, was ich aufbieten kann, ist ein gutes Gedächtnis und das verdanke ich nicht irgend einer eigenen Leistung, sondern meiner DNA, also einer genetischen Struktur, die sich bei meinen Vorfahren über Generationen hinweg entwickelt hat. Maximal könnte man es eine Leistung nennen, dass ich dieses Gedächtnis durch stetiges Bücherlesen trainiere.


Eines der Dinge, die man auf diese Weise lernt, ist Mustererkennung, man merkt an der Art der Fragen, wo die Interessen eines Fragenden liegen und als Geschichtsnerd, der ich nun einmal bin, war es keine Herausforderung, über das Thema meines Gesprächspartners etwas zu wissen. Man hat ja schliesslich „Illuminatus!“, „Das Foucaultsche Pendel“ etc. und die zugehörigen Wikipedia-Artikel gelesen und es war mir ein Vergnügen, Esoterik in den historischen Zusammenhang einzuordnen.


Was will uns diese kleine Episode nun sagen?


An erster Stelle steht natürlich die zeitlose Lektion, dass man sich vor Überhebung zu hüten hat. Selbst wenn ich die Bewunderung des Fragenstellers verdient hätte, muss ich immer noch am nächsten Ersten die Miete bezahlen, meinen Lebensunterhalt mit Arbeit verdienen und Woche für Woche andere alltägliche Pflichten erledigen.


Daneben zeigt der Vorgang die Relativität der Dinge. Jener Fragensteller ist noch jung und leicht zu beeindrucken, eine gereifte Persönlichkeit an seiner Stelle hätte mich nicht so billig davonkommen lassen.


Man kann noch eine allgemeine Betrachtung anschliessen: Wer für irgend etwas fünf Euro spendet, gilt schon als Millionär, wer drei simple Fragen richtig beantwortet, gilt als Genie. Warum? Weil den Leuten der Massstab fehlt. Der Unterschied zwischen den Zahlen 5 und 1000000 ist ihnen nicht begreiflich zu machen, ebenso wenig wie die Tatsache, dass ein Faktenwissen, welches sich in vier Worten ausdrücken lässt, noch lange keinen genialen Geist benötigt.