Freitag, 22. März 2024

Einige Überlegungen zum Thema Smalltalk

1. Allgemeines

Schon der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831) spottete über „die Absichtlichkeit des Absichtslosen und den Zwang des Ungezwungenen“ und daran hat sich in den letzten zweihundert Jahren nichts geändert. Viele Leute sehen Smalltalk als Zwang, als Pflichtübung, als geschauspielerte Lässigkeit, der man sich unterziehen muss, weil man sonst eine gute Gelegenheit verpasst oder Ähnliches. Von Entspannung ist da keine Rede und davon, dass du eine Veranstaltung besuchst, um dir beispielsweise einen schönen Abend zu machen, schon gar nicht.

Alle Leute, die etwas von Psychologie verstehen, sind sich einig, dass dies keine gute Ausgangsbasis ist. Der erste Schritt ist daher, den Dingen ihren Schrecken zu nehmen, Mythen und Mysterien beiseite zu räumen und die Fakten zu betrachten.

Etliche Ratgeber betrachten das Ganze aus beruflicher Perspektive, als Teil des Business, als netzwerken. Ich dagegen brauche es beruflich nicht, denn ich brauche generell keine Karriere. Hier zeigt sich ein Vorteil des Arbeitskräftemangels, denn ich konkurriere mit niemandem, statt dessen gibt es um mich herum massenweise freie Stellen mit allen damit verbundenen Potenzialen.

Andere Leute suchen nach einem Eisbrecher für private Anlässe, sei es als Einstieg in einen Flirt oder „nur“, um die eigene Einsamkeit und Langeweile zu durchbrechen und auch dazu ist die Zahl der guten Ratschläge gross genug.

Spreche ich dagegen ganz egoistisch nur von mir, so nähere ich mich dem Thema Smalltalk aus der Richtung „gesellschaftliche Anlässe wie etwa eine Familien- oder Firmenfeier, auf denen ich mich durchschlagen will, ohne mich allzu sehr zu blamieren“. Dies allerdings nur als Orientierungshilfe für mich selbst, denn in der Praxis sind die Grenzen fliessend und es ist egal, von welchem Punkt aus du startest.

Als Vorübung: Verlasse deine Komfortzone und geh irgendwo hin, egal wo, denn ungenutzte Potenziale gibt es überall. Fang etwa in der Fussgängerzone an, stelle dich irgendwo am Rand hin und lass den Menschenstrom auf dich wirken. Oder setze dich in eine Kneipe, die du nicht kennst und wo man dich nicht kennt. Oder nimm irgendeine Veranstaltung, die du bisher nicht kennst, die sogar ausserhalb deiner Interessen liegt, denn dann hast du dort keine Verpflichtungen und bist nicht dem Zwang ausgesetzt, irgendwas zu irgendwem zu sagen.

Du brauchst also am Anfang gar nicht selbst zu reden. Vielmehr beobachte die Menschen, sieh ihnen beim Reden zu und erkenne die Muster. IMHO ist dazu ein Rockkonzert weniger geeignet als etwa eine Kunstausstellung, denn man muss die Leute verstehen können, ohne ständig zu schreien.

Zur äusseren Erscheinung nehmen wir mich selbst als Beispiel: Ich trage dunkle Farben und allenfalls dezente Accessoires, weil dies meinen persönlichen Vorlieben entspricht. Gleichzeitig darf ich Leute, welche helle Farben, auffällige Kombinationen und schrille Accessoires verwenden, nicht im Voraus verurteilen, das ist ein Gebot sowohl der Humanität als auch des gesunden Menschenverstands.

Generell gilt: Mit welcher Farbe oder welchem sonstigen Element auch immer du dich wohlfühlst, du kannst von „Casual“ über „Business“ bis zur vornehmen „Abendgarderobe“ Akzente damit setzen. „Ein Smoking ist ein Smoking, ein Frack ist ein Frack“? Schön wäre es, denn in Wahrheit gibt es auch hier subtile Abstufungen, welche denjenigen, die sich damit auskennen, einen Vorteil verschaffen. Und unterhalb dieser vornehmen Outfits, also bei allem unterhalb von „Dresscode: Black Tie“, gibt es so viele Gestaltungsmöglichkeiten, dass sie buchstäblich niemals zu erschöpfen sind. Gleichzeitig existieren allgemein anerkannte Konventionen, so dass jede Person, welche nicht experimentieren will, auf der sicheren Seite bleiben kann.

Dann ist da natürlich die Rhetorik: Ein „Ey, wer issen die Tussi?“ kommt bei den Leuten anders an als „Sagen Sie bitte, wer ist die Dame in dem blauen Hosenanzug?“ Sprich beides nacheinander vor dich hin, wenn du ungestört bist und probiere noch einige andere solche Gegensatzpaare aus, dann bekommst du ein Gefühl dafür.

Die Ratgeber, welche etwas taugen, unterscheiden auch zwischen Smalltalk und Deeptalk. Ein Kollege meinte etwa, ich könnte mit Smalltalk doch kein Problem haben, weil wir viel über Literatur redeten und ich erwiderte, dass meine Fähigkeiten mehr im Deeptalk lägen. Als dieser Kollege die Namen Dickens und Hemingway in den Raum warf, wusste ich ungefähr, wer diese Leute sind, weil ich als Geschichtsnerd über ihre historische Bedeutung gelesen habe. Also konnten wir beide in die Tiefe gehen, während die Menschen um uns herum hilflos waren und sich ausgeschlossen fühlten. Noch schlimmer wird das bei Gesundheitsthemen oder Politik, denn in diesen Dingen sind viele Leute empfindlich, daher solltest du sie vorerst vermeiden. Sicher, Manche wissen nicht einmal, wie die Weltpolitik vor zehn Jahren ausgesehen hat, aber für andere ist selbst das 18. Jahrhundert noch ein zu heikles Thema.

Damit ist eine weitere Facette der Aufgabe identifiziert, nämlich nicht in Deeptalk zu verfallen, sondern erst einmal an der Oberfläche zu bleiben. Das heisst, dass man die klassische Frage „Wie gehts?“ nicht gleich mit seiner Krankengeschichte beantwortet, sondern zuerst einmal mit einem „Bestens, danke der Nachfrage“. Von da an kann man die Frage zurückgeben mit „Ihnen/Dir auch, hoffe ich? – Fein…“ und dann weiter mit einem anderen Thema.


2. Praktische Ausführung

Wenn du dich unsicher fühlst, kannst du dich darauf verlassen, dass andere Leute schlimmer dran sind. Für manche ist die Anwesenheit eine Pflichtübung, ein Teil ihres Berufs und sie müssen daher netzwerken und smalltalken wie die Wahnsinnigen. Andere sind Aussenseiter, die wenig Kontakte haben, sei dies aus Mangel an Bekanntschaften, aus Schüchternheit oder weil sie introvertierte Menschen sind. Beobachte und lerne und dann sprich die an, welche sonst niemand beachtet oder die, welche du aus irgend einem Grund ansprechen musst.

Womit? Hier helfen uns allgemeine psychologische Fakten: Wer die eigene Unwissenheit zugibt und/oder anderen ein gutes Gefühl gibt, wirkt sympathisch. Also sprich beispielsweise die Unbeachteten an und frage sie, wer wer ist. Dann bringst du im nächsten Schritt deine eigenen Beobachtungen ein, etwa, wer die am meisten umschwärmte Person ist und schon habt ihr ein endloses Gesprächsthema.

Oder mache ihnen ehrliche Komplimente über ihr Aussehen, Kleidung, Schmuck etc. und vergiss dabei das Klischee, dass dies nur Frauenthemen wären. Männer sind genauso von Eitelkeit befallen und gerade die, welches sich besonders machohaft geben, wollen am meisten bewundert werden. Trägt jemand gar ein auffälliges Kleidungsstück oder Accessoire, etwa einen Anstecker, einen Orden etc., dann will die Person bewusst damit gesehen werden und auch darüber sprechen.

Bei alledem besteht natürlich die Gefahr, in Sarkasmus überzugehen, falls du es mit einem Dummkopf zu tun hat. Deswegen ist das Schwerste auch hier nicht das Reden, sondern das Schweigen an der richtigen Stelle. Einige Beispiele:

Interessante Krawatte, interessante Jacke/Kleid/Brosche/Kombination, interessanter Kontrast. Von welchem Designer ist das? Mögen Sie diese Art von Outfit? Ist das Ihr Standard oder probieren Sie heute etwas Neues aus?

Was ist das für ein Abzeichen/Orden bitte? – Alle Achtung, das/die/den hat nicht jeder. Wofür haben Sie es/die/den bekommen?“

Hier ist die Komplexität der deutschen Sprache zu beachten, im Englischen etwa heisst es jedes Mal „the“ und „it“, also hier „the badge“, „the medal“, „the order“, aber im Deutschen haben wir die verschiedenen Genitive mit „das Abzeichen“, „die Medaille/die Brosche“ und „der Orden“.

Sie scheinen sich hier auszukennen. Sind Sie schon mal auf so einer Party gewesen?“ Sie etwa nicht? Das findet doch öfters statt.Alle Achtung, dass Sie das so genau wissen. Ich bin heute tatsächlich zum ersten Mal dabei.

Damit hast du einen Anknüpfungspunkt für weitere Fragen an die andere Person. Ist die Veranstaltung beispielsweise ein Firmenevent, so kannst du nun sagen Verzeihen sie einem Neuling die Frage: Wenn Sie öfter hier sind, müssen Sie ja schon länger in der Firma sein. Oder sind Sie Kunde?“

Verzeihung, ich bin neu hier. Können Sie mir sagen, wer die beiden da drüben sind?“

Dreiste Version: „Sie sind offenbar sehr umschwärmt. Verzeihen Sie einem Ahnungslosen die Frage, welche Position Sie haben.“

Eine andere Variante ist, falls du nicht zu einem Kontakt gezwungen bist, sich gerade von den umschwärmten Leuten fern zu halten und dadurch einen eigenen Akzent zu setzen. Du fällst dann auf, weil du dich nicht so verhältst wie die Masse.

Falls du gezwungen bist, wichtige Personen ansprechen: Sie sind nicht so unnahbar, wie es bisweilen scheint. Schon Michel de Montaigne hat im 16. Jahrhundert beobachtet, dass die Grossen seiner Zeit nichts lieber taten, als den ganzen zeremoniellen Kram beiseite zu lassen und sich wenigstens einmal wie normale Menschen zu benehmen. Solche Leute können allerdings genervt sein, weil sie auch für viele Andere wichtig sind und deswegen sehr viel angesprochen werden, man kann auch sagen, dass sie belagert und bestürmt werden. In solchen Fällen bist du nicht die erste Person bei der Begrüssung – falls doch, brauchst du wahrscheinlich keinen Ratgeber mehr – und die Leute in der Mitte werden am wenigsten beachtet. Hier kann es dir also einen Vorteil bringen, ganz am Ende der Schlange zu stehen und dabei einen guten Eindruck zu hinterlassen.

Du bist nicht nur das Individuum, nach dem die wichtige Person erlöst ist und einmal verschnaufen kann, sondern das, welches dieser Person die Erlösung bringt. „Guten Abend, Frau/Herr x [, Klaus Gieg mein Name], ich bin hoffentlich der Letzte, dann sind Sie erlöst. Daher erlaube ich mir, Sie für eine Sekunde in Anspruch zu nehmen, um Ihnen ein Kompliment zu machen für unsere gute Zusammenarbeit/meinen Dank für die Einladung auszusprechen/auch im Namen meiner Begleitung/…“

Etwas dreistere Variation: „Guten Abend, Frau/Herr x [, Klaus Gieg mein Name]. Ich erlaube mir, Sie für eine Sekunde in Anspruch zu nehmen, um [] Und damit sind Sie auch schon von mir erlöst. Einen schönen Abend noch.“

Wenn andere Leute, die bei einem solchen Begrüssungsritual nur ihre Pflicht getan haben, DAS hören, werden sie platzen vor Neid!

Weitere Situation, in einem Onlinevideo als Beispiel erwähnt: Du wirst an einen Tisch gesetzt mit Leuten, welche du nicht kennst und die dich nicht kennen. Es herrscht das sprichwörtliche „peinliche Schweigen“, niemand findet einen Anknüpfungspunkt oder den Mut, ihn zu nutzen. Das ist deswegen peinlich, weil Menschen nun einmal soziale Wesen sind und reden wollen, wollen, wollen. „Das gesamte Menschengeschlecht buhlt begierig um offene Ohren“, so der alte Römer Lukrez und das darf man getrost als ewige Wahrheit bezeichnen. Gib den Leuten nur den ersten Anlass zum Reden und sie werden dich verehren, anschliessend ergeben sich weitere Fragen und Antworten von selbst.

Jenes Video hat nicht erwähnt, was man in so einer Situation sagt, daher hier eine spontan erdachte Version von mir selbst. Einleitung, an die Allgemeinheit gerichtet: Guten Tag/Abend allerseits, Klaus Gieg mein Name. Ich muss wohl um Verzeihung bitten, dass ich niemanden von Ihnen kenne.“

Dann an deinen direkten Nachbarn rechts von dir: „Sind Sie so freundlich, mir die Herrschaften vorzustellen?“ Wenn er Nein sagt, hat er sich unmöglich gemacht und das spüren die meisten Leute, egal auf welchem Bildungsniveau.

Alternativ und das ist nun aus einem professionellen Ratgeber, beginnt man zunächst ein Gespräch mit nur einer Person, etwa „Verzeihung, ich bin neu hier. Können Sie etwas von der Speisekarte empfehlen?“ Das kann man dann fortsetzen mit „Alle Achtung, Sie kennen sich ja aus…“ oder etwas in dieser Art und wenn der Andere darauf nicht anspringt, ist es sein Pech, denn dann plauderst du mit dem Nächsten.

Oder bei einem Stehempfang, ebenfalls als Idee von einem Profi: Guten Tag/Abend, Klaus Gieg mein Name. Darf ich mich zu Ihnen stellen?

Falls das nicht funktioniert, ist es eine gute Möglichkeit, den Umgang mit Abweisungen zu trainieren. Du kannst ein „Nein“, ja sogar ein arrogant-verächtliches „Danke, wir sind vollzählig“ mit einem souveränen Lächeln und einer angedeuteten Verbeugung kommentieren. Danach wendest du dich ab und gehst weiter, egal ob zur nächsten Gruppe oder sonst wohin. Damit performst du weitaus besser als derjenige, welcher dich zurückgewiesen hat, denn es ist sein Verlust, wenn er deine einmalige Persönlichkeit nicht zu brauchen glaubt.


3. Weiterer Verlauf

Seid ihr erst einmal im Gespräch, so ist die Vielfalt an möglichen Themen so gross, dass man sie mit Tausenden Veranstaltungen nicht erschöpfen kann.

Ein Minenfeld ist es, von dir selbst zu sprechen. Das birgt nämlich stetig die Gefahr, deiner Eitelkeit nachzugeben und erfordert deswegen die meiste Selbstkontrolle. Gleichzeitig ist es unpraktisch, allzu verschlossen zu sein, denn dann erscheinst du im schlimmsten Falle als Feigling, der Angst davor hat, etwas von sich preiszugeben. Wenn die Leute etwas über dich wissen wollen, so antworte kurz und bescheiden und falls sie nachfragen, kannst du loslegen.

Noch nicht optimal, aber besser ist das Reden über irgendein Thema, bei dem man als Nerd erscheint. Ob über Mode, über den Unterschied zwischen Mozart und Puccini bei Opern oder die Arbeiten von Licklider, Lem und Hofstadter in Computerphilosophie – wenn du das Thema kennst und dich dafür erwärmen kannst, besteht höchstens noch die Gefahr, Leute damit zu überfordern. Auch hier wieder als Beispiele:

Die Garderobe der Damen ist recht vielfältig. Interessant, wie sich das über Jahrhunderte nicht geändert hat: Die Männer können fast nur durch Geschmacklosigkeit Akzente setzen oder durch dezente Kleinigkeiten, aber die Frauen haben ein unglaublich breites Spektrum zur Auswahl. Man kann sie beneiden.

Antwort mit trockenem Humor: Tja, das war im 18. Jahrhundert noch anders. Aber dann hat Beau Brummel die Herrenmode revolutioniert und an den Folgen leiden wir heute noch.

Dostojewski hat eine Beobachtungsgabe bis in die Nebendinge hinein, das ist unglaublich. Man nennt seine Bücher Romane, aber erfunden sind daran höchstens die Namen der Personen, alles andere ist nackte Realität.

Sehen Sie sich die Zauberflöte an und dann Tosca. Da fällt auf, dass Puccinis Musik eine Intensität erreicht, von der Mozart nur träumen konnte. Darin spiegelt sich der Fortschritt von 120 Jahren.

Ausserdem wollen auch andere Leute zu Wort kommen, also beschränke deine eigenen Beiträge. Wenn du etwas zu einem Thema gesagt hast, reiche den Stab weiter an die nächste Person mit „Was denken Sie zum Thema Opern und Operetten?“ oder „Was meinen Sie zu Computern und Philosophie? Kommen die Philosophen heutzutage noch mit?“

Egal, was die Leute antworten, sie werden dabei erneute Anknüpfungspunkte liefern und ihr werdet ganz automatisch auch auf andere Themen kommen. Auch hier gilt: Schweigen ist das Schwierigste – aber auch das Lohnendste. Übe das Zuhören, das Verstehen und sie werden dich dafür lieben.