Von
„near future SF“ zu sprechen, wie es in der Literatur üblich
ist, passt hier nicht mehr, denn es fehlt die „fiction“, das frei
Erfundene. Eine Handvoll High-Tech-Firmen liefern sich in unserer
Zeit ein Wettrennen um die Realisierung von allem, was einmal ein
Traum war und nun seinen „sense of wonder“ verliert, weil es
normal wird, weil man es kaufen kann wie Gemüse. Wo der Dichter des
19. Jahrhunderts sagte, Fortschritt bestehe in der Verwirklichung von
Utopien, da sind uns im 21. Jahrhundert die Utopien ausgegangen.
Ironischerweise
scheinen das viele Leute immer noch nicht zu begreifen, lassen sich
immer noch von jedem Schritt in dieser Entwicklung überraschen.
Selbst die Dinge, die jetzt, heute, in diesem Moment passieren oder
auch solche, die schon vor zehn Jahren passierten und die nun
wirklich zu Tode analysiert und hunderte Male beschrieben und gefilmt
worden sind, wollen sie nicht glauben.
Ich
habe in meinen bisherigen Texten einige Dinge nicht erwähnt, weil
ich sie für ebenso offensichtlich wie selbstverständlich halte,
nämlich offensichtlich, dass sie machbar sind und
selbstverständlich, dass sie gemacht werden, andere Leute äusserten
jedoch das Bedürfnis, da noch ins Detail zu gehen.
Also
dann:
I.
Zwischen
heute und 2020 wird die Entwicklung NICHT stehen bleiben, das geben
selbst Leute zu, die ansonsten keine Ahnung haben.
Sie
gehen aber von falschen Voraussetzungen aus und nehmen an, es würden
z.B. Bashar al-Assad sterben, Robert Mugabe sterben und Helmut Kohl
sterben; selbst das ist heute nicht mehr gesichert. Karl Kraus hat
dereinst spöttisch gesagt „Die Fortschritte in der Medizin sind
ungeheuer. Man ist sich seines Todes nicht mehr sicher“ und das war
in den 1950ern Satire – heute ist es nur noch eine
Zustandsbeschreibung. Der Tod kommt nicht mehr automatisch zu jedem,
sondern die erste Unsterblichkeitspille befindet sich seit April 2017
im klinischen Test. An Menschen.
Generell
gesagt, personalisierte Medizin mittels Gentechnik ist jetzt
in klinischen Tests, jetzt in diesem Moment und nicht mehr irgendwann
in der Zukunft. 2018 wird sie in mehreren Ländern ausserhalb
Deutschlands offiziell zugelassen und diese Länder werden einen
Anstieg des Medizintourismus erleben.
Warum
„ausserhalb Deutschlands“? Weil wir die Idioten sind, die immer
nur alles verbieten.
Parallel
dazu werden verbesserte Roboter imstande sein, medizinische Diagnosen
zu erstellen und die Menschen werden auf diese Diagnosen vertrauen,
egal wie oft sie vorher behaupten, einer Maschine nichts zu glauben.
Es
gab Menschen in Deutschland, die geglaubt haben, dass die
Digitalisierung aufhören würde, sobald die Piratenpartei die Wahlen
verliert. Nun erleben sie, dass sie sich geirrrt haben, denn die Idee
einer politischen Partei aus digitalaffinen Menschen ist krachend
gescheitert – und die Digitalisierung geht trotzdem weiter. Alle
anderen Parteien haben zu dem Thema keine Antworten, weil sie so blöd
sind, dass sie nicht einmal die Fragen verstehen – und die
Digitalisierung geht trotzdem weiter.
Die
Softwarebots von 2018 sind klüger als die von 2017 und die von 2019
wiederum klüger. Indien wird einen eigenen Roboter auf den Mond
schicken und weltweit werden weitere Zeitungen und Zeitschriften
eingestellt, weil sie gegen die Online-Konkurrenz nicht mehr
ankommen. Dadurch werden noch mehr Werbegelder von Print zu Online
umgeleitet.
Schon
heute haben über drei Milliarden Menschen Zugang zum Internet, das
sind hundertmal mehr als im Jahr 1996 und im Laufe des Jahres 2018
steigt diese Zahl auf über vier Milliarden – mehr als die Hälfte
der Menschheit!
Die
Zahl der Katzenvideos wird weiter zunehmen, ebenso wie die Zahl der
Hundevideos, der Eichhörnchenvideos, der Elefantenvideos, der
Amateurpornovideos und der sonstigen Videos.
In
den letzten paar Jahren wurden jährlich 2000 Tonnen Gold gefördert,
2016 waren es schon 2100 Tonnen und im Jahr 2017 steigt diese Zahl
auf 2300 Tonnen. Lassen Sie sich das auf der Zunge zergehen: 2,3
Millionen Kilo zusätzliches Gold, das vorher nicht zur Verfügung
stand, sondern frisch aus dem Boden geholt wird. Diese Entwicklung
setzt sich in 2018 und 2019 fort.
Die
Geburtenraten werden weiter sinken und zwar weltweit, so dass das
Wachstum der Weltbevölkerung sich abschwächt. Vergessen Sie die
Horrorgeschichten von neun Milliarden oder noch mehr Menschen, denn
schon in den 2020ern werden wir uns gar nicht mehr vermehren.
Es
kommen also schon in den nächsten 24 Monaten von jetzt an genug
Veränderungen auf Sie zu, liebe Mitmenschen. Sich vor der Zukunft zu
gruseln, hat ja in Deutschland Tradition und wenn Sie noch etwas
suchen, wovor Sie sich fürchten können, sollte schon dieser
flüchtige Überblick genügen.
II.
Dass
die Veränderungen auch zwischen 2020 und 2030 weitergehen, habe ich
in den Texten „Leben 2020“ und „Leben 2030“ bereits
ausdrücklich gesagt und Einiges davon beschrieben. Die nächste
Herausforderung ist also die Zeit nach 2030.
In
den 2030ern wird die Bevölkerung der Erde, die zuvor etwa ein
Jahrzehnt lang bei 7,5 Milliarden stagnierte, auf unter sieben
Milliarden absinken, weil Hunderte Millionen von genmanipulierten und
gleichzeitig cyborgisierten „Menschen“ ins restliche Solsystem
auswandern oder gleich zu anderen Sonnensystemen aufbrechen. Die
Verschmelzung von Mensch und Maschine ist zu diesem Zeitpunkt bereits
vollendet, sie wird nicht erst 2050 oder noch später erfolgen.
Es
gibt nur noch kleine Sekten von selbsternannten „normalen
Menschen“, die sowohl Biotechnik als auch Cyborgtechniken ablehnen
und sich in Refugien auf der guten alten Erde verschanzen. Weit
überlegene Robotersysteme wachen weiterhin darüber, dass diese
Fanatiker keinem anderen Menschen Schaden zufügen; die ethische
Frage, ob man sie innerhalb ihrer eigenen Gemeinschaften an
Gewaltanwendung gegen Schwächere hindern muss, wird schon in den
2020ern entschieden und wie die Maschinen sie beantworten, das weiss
kein Mensch im Voraus, sicher ist nur, dass den Menschen dabei keine
Stimme eingeräumt wird.
Das
ist vielleicht ein Punkt, den ich noch nicht genügend betont habe:
Die Menschen werden schon in den 2020ern jede Macht über andere
Menschen verlieren und die Macht über die Computer ebenso. Die
Maschinen werden uns regieren, weil sie klüger sind als wir, sogar
stärker und schneller als der aufgerüstete Mensch.
Ich
selbst werde im Jahre 2039 mit 65 Lebensjahren jenes Alter erreichen,
das man bisher als „Rentenalter“ bezeichnet und ich werde darüber
lächeln, weil ich mir dann höchstens ein Refreshing meines gesamten
Körpers zum Geburtstag schenke – falls diese Technik der 2020er
nicht auch schon wieder überholt ist und falls bis dahin überhaupt
noch etwas von meinem biologischen Körper übrig ist.
III.
Damit
ist die Grenze dessen erreicht, was man einigermassen realistisch
vorhersagen kann, für alles nach 2040 operieren wir mit blossen
Annahmen und willkürlich gesetzten Jahreszahlen, um die ungezählten
Möglichkeiten etwas anschaulicher zu machen. Das gilt auch für
meinen eigenen Text „Leben 2054“.
Eine
mögliche Begrenzung der Fantasie ist es, dass ich nicht mehr weiss,
was wir uns nach 2040 noch wünschen könnten, wenn wir bis dahin
schon das ewige Leben und die ewige Jugend haben, genauso den ewigen
Wohlstand und die Möglichkeit, stundenlang ohne Erschöpfung Sex zu
machen.
Auch
für die sonstige Unterhaltung ist ja mehr als gesorgt, schon heute
würde man 50'000 Jahre brauchen, um sich alle im Internet
vorhandenen Videos anzusehen und diese Zahl wächst von Minute zu
Minute; ja, will man nur alle Texte lesen, die je geschrieben wurden
oder jedes jemals erfundene Spiel komplett durchspielen, so kann man
auch dafür mehrere Jahrtausende einplanen, selbst unter der
Voraussetzung, dass unsere Datenaufnahme-, Verarbeitungs- und
Speicherkapazität sich dank aufgerüsteter Gehirne verdoppeln.
Damit
muss ich die Frage wohl weitergeben: Was fällt euch noch ein, liebe
Leute, wenn ihr meine Texte gelesen habt, was habe ich nicht erwähnt,
was ihr euch noch wünscht?