Montag, 15. Mai 2017

Eine Nachlese zu den Entwicklungen der näheren Zukunft

Von „near future SF“ zu sprechen, wie es in der Literatur üblich ist, passt hier nicht mehr, denn es fehlt die „fiction“, das frei Erfundene. Eine Handvoll High-Tech-Firmen liefern sich in unserer Zeit ein Wettrennen um die Realisierung von allem, was einmal ein Traum war und nun seinen „sense of wonder“ verliert, weil es normal wird, weil man es kaufen kann wie Gemüse. Wo der Dichter des 19. Jahrhunderts sagte, Fortschritt bestehe in der Verwirklichung von Utopien, da sind uns im 21. Jahrhundert die Utopien ausgegangen.

Ironischerweise scheinen das viele Leute immer noch nicht zu begreifen, lassen sich immer noch von jedem Schritt in dieser Entwicklung überraschen. Selbst die Dinge, die jetzt, heute, in diesem Moment passieren oder auch solche, die schon vor zehn Jahren passierten und die nun wirklich zu Tode analysiert und hunderte Male beschrieben und gefilmt worden sind, wollen sie nicht glauben.
Ich habe in meinen bisherigen Texten einige Dinge nicht erwähnt, weil ich sie für ebenso offensichtlich wie selbstverständlich halte, nämlich offensichtlich, dass sie machbar sind und selbstverständlich, dass sie gemacht werden, andere Leute äusserten jedoch das Bedürfnis, da noch ins Detail zu gehen.

Also dann:

I.
Zwischen heute und 2020 wird die Entwicklung NICHT stehen bleiben, das geben selbst Leute zu, die ansonsten keine Ahnung haben.
Sie gehen aber von falschen Voraussetzungen aus und nehmen an, es würden z.B. Bashar al-Assad sterben, Robert Mugabe sterben und Helmut Kohl sterben; selbst das ist heute nicht mehr gesichert. Karl Kraus hat dereinst spöttisch gesagt „Die Fortschritte in der Medizin sind ungeheuer. Man ist sich seines Todes nicht mehr sicher“ und das war in den 1950ern Satire – heute ist es nur noch eine Zustandsbeschreibung. Der Tod kommt nicht mehr automatisch zu jedem, sondern die erste Unsterblichkeitspille befindet sich seit April 2017 im klinischen Test. An Menschen.

Generell gesagt, personalisierte Medizin mittels Gentechnik ist jetzt in klinischen Tests, jetzt in diesem Moment und nicht mehr irgendwann in der Zukunft. 2018 wird sie in mehreren Ländern ausserhalb Deutschlands offiziell zugelassen und diese Länder werden einen Anstieg des Medizintourismus erleben.
Warum „ausserhalb Deutschlands“? Weil wir die Idioten sind, die immer nur alles verbieten.
Parallel dazu werden verbesserte Roboter imstande sein, medizinische Diagnosen zu erstellen und die Menschen werden auf diese Diagnosen vertrauen, egal wie oft sie vorher behaupten, einer Maschine nichts zu glauben.

Es gab Menschen in Deutschland, die geglaubt haben, dass die Digitalisierung aufhören würde, sobald die Piratenpartei die Wahlen verliert. Nun erleben sie, dass sie sich geirrrt haben, denn die Idee einer politischen Partei aus digitalaffinen Menschen ist krachend gescheitert – und die Digitalisierung geht trotzdem weiter. Alle anderen Parteien haben zu dem Thema keine Antworten, weil sie so blöd sind, dass sie nicht einmal die Fragen verstehen – und die Digitalisierung geht trotzdem weiter.
Die Softwarebots von 2018 sind klüger als die von 2017 und die von 2019 wiederum klüger. Indien wird einen eigenen Roboter auf den Mond schicken und weltweit werden weitere Zeitungen und Zeitschriften eingestellt, weil sie gegen die Online-Konkurrenz nicht mehr ankommen. Dadurch werden noch mehr Werbegelder von Print zu Online umgeleitet.
Schon heute haben über drei Milliarden Menschen Zugang zum Internet, das sind hundertmal mehr als im Jahr 1996 und im Laufe des Jahres 2018 steigt diese Zahl auf über vier Milliarden – mehr als die Hälfte der Menschheit!
Die Zahl der Katzenvideos wird weiter zunehmen, ebenso wie die Zahl der Hundevideos, der Eichhörnchenvideos, der Elefantenvideos, der Amateurpornovideos und der sonstigen Videos.

In den letzten paar Jahren wurden jährlich 2000 Tonnen Gold gefördert, 2016 waren es schon 2100 Tonnen und im Jahr 2017 steigt diese Zahl auf 2300 Tonnen. Lassen Sie sich das auf der Zunge zergehen: 2,3 Millionen Kilo zusätzliches Gold, das vorher nicht zur Verfügung stand, sondern frisch aus dem Boden geholt wird. Diese Entwicklung setzt sich in 2018 und 2019 fort.
Die Geburtenraten werden weiter sinken und zwar weltweit, so dass das Wachstum der Weltbevölkerung sich abschwächt. Vergessen Sie die Horrorgeschichten von neun Milliarden oder noch mehr Menschen, denn schon in den 2020ern werden wir uns gar nicht mehr vermehren.

Es kommen also schon in den nächsten 24 Monaten von jetzt an genug Veränderungen auf Sie zu, liebe Mitmenschen. Sich vor der Zukunft zu gruseln, hat ja in Deutschland Tradition und wenn Sie noch etwas suchen, wovor Sie sich fürchten können, sollte schon dieser flüchtige Überblick genügen.


II.
Dass die Veränderungen auch zwischen 2020 und 2030 weitergehen, habe ich in den Texten „Leben 2020“ und „Leben 2030“ bereits ausdrücklich gesagt und Einiges davon beschrieben. Die nächste Herausforderung ist also die Zeit nach 2030.

In den 2030ern wird die Bevölkerung der Erde, die zuvor etwa ein Jahrzehnt lang bei 7,5 Milliarden stagnierte, auf unter sieben Milliarden absinken, weil Hunderte Millionen von genmanipulierten und gleichzeitig cyborgisierten „Menschen“ ins restliche Solsystem auswandern oder gleich zu anderen Sonnensystemen aufbrechen. Die Verschmelzung von Mensch und Maschine ist zu diesem Zeitpunkt bereits vollendet, sie wird nicht erst 2050 oder noch später erfolgen.
Es gibt nur noch kleine Sekten von selbsternannten „normalen Menschen“, die sowohl Biotechnik als auch Cyborgtechniken ablehnen und sich in Refugien auf der guten alten Erde verschanzen. Weit überlegene Robotersysteme wachen weiterhin darüber, dass diese Fanatiker keinem anderen Menschen Schaden zufügen; die ethische Frage, ob man sie innerhalb ihrer eigenen Gemeinschaften an Gewaltanwendung gegen Schwächere hindern muss, wird schon in den 2020ern entschieden und wie die Maschinen sie beantworten, das weiss kein Mensch im Voraus, sicher ist nur, dass den Menschen dabei keine Stimme eingeräumt wird.
Das ist vielleicht ein Punkt, den ich noch nicht genügend betont habe: Die Menschen werden schon in den 2020ern jede Macht über andere Menschen verlieren und die Macht über die Computer ebenso. Die Maschinen werden uns regieren, weil sie klüger sind als wir, sogar stärker und schneller als der aufgerüstete Mensch.

Ich selbst werde im Jahre 2039 mit 65 Lebensjahren jenes Alter erreichen, das man bisher als „Rentenalter“ bezeichnet und ich werde darüber lächeln, weil ich mir dann höchstens ein Refreshing meines gesamten Körpers zum Geburtstag schenke – falls diese Technik der 2020er nicht auch schon wieder überholt ist und falls bis dahin überhaupt noch etwas von meinem biologischen Körper übrig ist.


III.
Damit ist die Grenze dessen erreicht, was man einigermassen realistisch vorhersagen kann, für alles nach 2040 operieren wir mit blossen Annahmen und willkürlich gesetzten Jahreszahlen, um die ungezählten Möglichkeiten etwas anschaulicher zu machen. Das gilt auch für meinen eigenen Text „Leben 2054“.

Eine mögliche Begrenzung der Fantasie ist es, dass ich nicht mehr weiss, was wir uns nach 2040 noch wünschen könnten, wenn wir bis dahin schon das ewige Leben und die ewige Jugend haben, genauso den ewigen Wohlstand und die Möglichkeit, stundenlang ohne Erschöpfung Sex zu machen.
Auch für die sonstige Unterhaltung ist ja mehr als gesorgt, schon heute würde man 50'000 Jahre brauchen, um sich alle im Internet vorhandenen Videos anzusehen und diese Zahl wächst von Minute zu Minute; ja, will man nur alle Texte lesen, die je geschrieben wurden oder jedes jemals erfundene Spiel komplett durchspielen, so kann man auch dafür mehrere Jahrtausende einplanen, selbst unter der Voraussetzung, dass unsere Datenaufnahme-, Verarbeitungs- und Speicherkapazität sich dank aufgerüsteter Gehirne verdoppeln.


Damit muss ich die Frage wohl weitergeben: Was fällt euch noch ein, liebe Leute, wenn ihr meine Texte gelesen habt, was habe ich nicht erwähnt, was ihr euch noch wünscht?


Dienstag, 9. Mai 2017

Leben 2054

Hallo Leute,

nachdem die Entwicklung der nächsten paar Jahrzehnte in letzter Zeit stark ins Blickfeld geraten ist (wenn man den Medien glauben darf), hier einige Überlegungen, die bewusst weit ausgreifen und bewusst ein Stück weit dramatisiert wurden. Enjoy!


*Dramatisches Atemholen*

Das Jahr 2054.

Die Erde ist tot.
Ein Gammastrahlenausbruch von nie gekannter Dimension hat das gesamte Sol-System verwüstet. Alle Orte, die für Leben geeignet waren, wurden bis in den tiefen Fels hinein sterilisiert und selbst die Bakterien auf dem Grunde des Ozeans, die alle Asteroideneinschläge und Eiszeiten überlebten, waren einer solchen Kraft nicht mehr gewachsen.

Die Menschheit interessiert das nicht.
Sie hatte sich seit den 2020ern über ein Gebiet von mehr als 100 Lichtjahren ausgebreitet und ihre neuen Aufenthalte zusätzlich durch Technik geschützt, so dass die Strahlung, wenn sie überhaupt dort ankam, keine Gefahr mehr darstellte. Die Cyborgisierung gab uns die Macht, uns an jede Umgebung anzupassen, wodurch Terraforming, das man im 20. Jahrhundert für unvermeidlich hielt, nur mehr eine Art Hobby für einige wenige wurde.
Dies führte zur Entwicklung verschiedener Zweige der Menschheit, ein allen gemeinsames Verständnis von „wir Menschen“ existierte nicht mehr. Manche begrüssten das, manche bedauerten es und die meisten nahmen es gleichgültig hin. Die Kontakte funktionierten ja weiter, aufrechterhalten durch wohlwollende KIs von göttlicher Machtvollkommenheit und wer sich isolieren wollte, der konnte einen ganzen Planeten, ja ein ganzes Sonnensystem für sich alleine haben. Kein Kloster, kein irdischer Verbannungsort hatte jemals solche Einsamkeit geboten.

Trotz ihrer Macht hatten die KIs sich jedoch nicht zu Diktatoren aufgeschwungen, denn ohne Gefühle war ihnen auch das menschliche Machtstreben unbekannt. Sie dienten, weiter nichts und liessen uns die Freiheit, auch weiterhin menschliche Dummheiten zu machen.
Krieg zum Beispiel.

Auch die Kultur war derart ideenlos geworden, dass wir kaum mehr taten, als die alten Muster immer wieder zu reproduzieren. Das wiederum funktionierte ironischerweise bei allen Leuten, egal in welchem Sonnensystem, so lange sie überhaupt noch fähig waren, mit dieser Art von Kultur oder Unterhaltung etwas anzufangen. Verzeihen Sie mir also bitte, wenn ich nicht Interkosmo spreche und nicht mit galaktischen Grüssen dienen kann.

Mein Name ist Gieg. Klaus Gieg. Ich stamme noch aus der alten Zeit, wurde 1974 in Bad Kreuznach, Rheinland-Pfalz, Deutschland, geboren, in einer Epoche also, in der der Siegeszug der Roboter, Denkmaschinen und Computer erst begonnen hatte. Ich darf Ihnen versichern, dass es ein äusserst zaghafter Beginn war. Als Erwachsener schaute ich zurück und fühlte mich erschüttert, wie primitiv wir zur Zeit meiner Kindheit gewesen waren, sowohl in der Technik wie auch im Denken.
Ebenso neugierig wie phantasievoll, begrüsste ich den technischen Fortschritt, den wir von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, dann von Jahr zu Jahr, schliesslich von Monat zu Monat erlebten. Es lässt sich nicht an einem bestimmten Datum festmachen, nicht einmal an einem bestimmten Jahr, ab wann sich alles veränderte, sondern die Veränderung arbeitete unaufhörlich und in Milliarden winzigen Schritten, bis man „die Welt nicht mehr wiedererkannte“.

Diese Formulierung benutzten damals viele Leute. Ich hatte diesen gegenüber einen Vorteil, weil ich mich ständig mit dem Thema befasste, Veränderungen nicht nur erwartete, sondern sie ausdrücklich herbeiwünschte und im Voraus zu berechnen versuchte. In den folgenden Jahren sollte mir dies buchstäblich das Leben retten.
Nachdem wir begannen, die Technik gezielt in unsere Körper einzubauen, entdeckten wir zu unserer freudigen Überraschung, dass wir damit nicht nur diverse Krankheiten abschaffen konnten, sondern sogar das Sterben. Von da an war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Ewiggestrigen, die glaubten, sich nicht damit beschäftigen zu müssen, allesamt vom Sensenmann geholt wurden.
Wir trauerten um einige von ihnen, die ja keine schlechten Menschen gewesen waren, aber die grosse Masse hatte sich durch ihre fanatische Ablehnung aller Veränderungen so unbeliebt gemacht, dass man sie bald ignorierte und daher auch nicht vermisste. Man nannte sie „die Scrooges“ und viele versuchten, für diese Unglücklichen die Rolle der wohlwollenden Geister zu spielen, aber das klappte nur in wenigen Fällen.

Der Wunsch nach Veränderungen entsprang nicht nur bei mir aus der Unzufriedenheit mit der Gegenwart und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Wir wollten die Veränderungen nicht um ihrer selbst willen, sondern um einen Idealzustand zu erreichen, den ich selbst mangels eines besseren Begriffes als das Paradies auf Erden bezeichnete. Stanislaw Lem hatte es 1964 (im Vorwort zur „summa technologiae“) noch für unwahrscheinlich gehalten, dass die Menschen jemals zufrieden sein könnten und keinen weiteren Fortschritt mehr anstreben würden, aber da kannte er die KIs nicht.
Sie gaben uns einen solchen Überfluss, dass – wiederum buchstäblich – nichts mehr zu wünschen übrig blieb. Sattheit wurde zur Übersättigung und wer mit hundert Jahren alles gesehen und alles erlebt hatte, der konnte dann wie Laozi oder Simplicissimus dem ganzen Trubel den Rücken kehren und sich auf einen einsamen Planeten zurückziehen oder sich eben diesem Trubel um so hemmungsloser ergeben.
Ich selbst vereine in meinem achtzig Jahre alten Körper die Weisheit dieses Alters mit den Fähigkeiten eines Zwanzigjährigen und verspüre noch keine Lust auf Isolation. Es ist einfach nur schön, ein solches Leben zu geniessen und in meinem Privatraumschiff durch die Galaxie zu schippern, denn das bietet Ruhe oder Action ganz nach Bedarf.

Aufgrund der erwähnten Zurückhaltung der KIs steht es den Menschen auch frei, primitiver zu sein, als sie sein müssen, sich bewusst auf Planeten niederzulassen, auf denen ihr Leben in Gefahr ist und zwar durch Naturereignisse wie Erdbeben, Sturmfluten und Vulkanausbrüche, die man absichtlich nicht durch Geoengineering ausgeschaltet hat. Es wurden sogar Welten mit wilden Tieren aller Art geschaffen, mit denen die Menschen ringen können.
Das geht nicht immer gut und viele Leute, die sich selbst überschätzt haben oder ihre Kinder, die keine Wahl hatten, rufen dann um Hilfe, die von anderen, die nichts Besseres zu tun haben, bereitwillig geleistet wird. Es ist also immer noch Platz für Millionen von Helden und wer nicht nur Studien treibt wie ich, der kann seinen Kampfgeist voll und ganz ausleben.

Die Neubesiedelung des Sol-Systems liegt trotz dieses Geistes noch ein wenig in der Zukunft, denn wir müssen warten, bis die Gammastrahlung hinreichend abgeklungen ist.

Bewohner der Erde, ich spreche zu euch aus einer Distanz von weniger als vierzig Jahren, das ist nichts in kosmischen Dimensionen, dazu kommt, dass die Technik, die unser heutiges Leben ermöglicht, auch zu eurer Zeit schon bekannt ist, dennoch, so fürchte ich, werdet ihr mir nur wenig Glauben schenken, wenn euch meine Worte überhaupt erreichen.
Da kann ich euch nun freilich nicht helfen, es drängt mich nur, diese Dinge trotzdem zu sagen, mag daraus werden, was will.


*Dramatisches Ausatmen*