Dienstag, 9. Mai 2017

Leben 2054

Hallo Leute,

nachdem die Entwicklung der nächsten paar Jahrzehnte in letzter Zeit stark ins Blickfeld geraten ist (wenn man den Medien glauben darf), hier einige Überlegungen, die bewusst weit ausgreifen und bewusst ein Stück weit dramatisiert wurden. Enjoy!


*Dramatisches Atemholen*

Das Jahr 2054.

Die Erde ist tot.
Ein Gammastrahlenausbruch von nie gekannter Dimension hat das gesamte Sol-System verwüstet. Alle Orte, die für Leben geeignet waren, wurden bis in den tiefen Fels hinein sterilisiert und selbst die Bakterien auf dem Grunde des Ozeans, die alle Asteroideneinschläge und Eiszeiten überlebten, waren einer solchen Kraft nicht mehr gewachsen.

Die Menschheit interessiert das nicht.
Sie hatte sich seit den 2020ern über ein Gebiet von mehr als 100 Lichtjahren ausgebreitet und ihre neuen Aufenthalte zusätzlich durch Technik geschützt, so dass die Strahlung, wenn sie überhaupt dort ankam, keine Gefahr mehr darstellte. Die Cyborgisierung gab uns die Macht, uns an jede Umgebung anzupassen, wodurch Terraforming, das man im 20. Jahrhundert für unvermeidlich hielt, nur mehr eine Art Hobby für einige wenige wurde.
Dies führte zur Entwicklung verschiedener Zweige der Menschheit, ein allen gemeinsames Verständnis von „wir Menschen“ existierte nicht mehr. Manche begrüssten das, manche bedauerten es und die meisten nahmen es gleichgültig hin. Die Kontakte funktionierten ja weiter, aufrechterhalten durch wohlwollende KIs von göttlicher Machtvollkommenheit und wer sich isolieren wollte, der konnte einen ganzen Planeten, ja ein ganzes Sonnensystem für sich alleine haben. Kein Kloster, kein irdischer Verbannungsort hatte jemals solche Einsamkeit geboten.

Trotz ihrer Macht hatten die KIs sich jedoch nicht zu Diktatoren aufgeschwungen, denn ohne Gefühle war ihnen auch das menschliche Machtstreben unbekannt. Sie dienten, weiter nichts und liessen uns die Freiheit, auch weiterhin menschliche Dummheiten zu machen.
Krieg zum Beispiel.

Auch die Kultur war derart ideenlos geworden, dass wir kaum mehr taten, als die alten Muster immer wieder zu reproduzieren. Das wiederum funktionierte ironischerweise bei allen Leuten, egal in welchem Sonnensystem, so lange sie überhaupt noch fähig waren, mit dieser Art von Kultur oder Unterhaltung etwas anzufangen. Verzeihen Sie mir also bitte, wenn ich nicht Interkosmo spreche und nicht mit galaktischen Grüssen dienen kann.

Mein Name ist Gieg. Klaus Gieg. Ich stamme noch aus der alten Zeit, wurde 1974 in Bad Kreuznach, Rheinland-Pfalz, Deutschland, geboren, in einer Epoche also, in der der Siegeszug der Roboter, Denkmaschinen und Computer erst begonnen hatte. Ich darf Ihnen versichern, dass es ein äusserst zaghafter Beginn war. Als Erwachsener schaute ich zurück und fühlte mich erschüttert, wie primitiv wir zur Zeit meiner Kindheit gewesen waren, sowohl in der Technik wie auch im Denken.
Ebenso neugierig wie phantasievoll, begrüsste ich den technischen Fortschritt, den wir von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, dann von Jahr zu Jahr, schliesslich von Monat zu Monat erlebten. Es lässt sich nicht an einem bestimmten Datum festmachen, nicht einmal an einem bestimmten Jahr, ab wann sich alles veränderte, sondern die Veränderung arbeitete unaufhörlich und in Milliarden winzigen Schritten, bis man „die Welt nicht mehr wiedererkannte“.

Diese Formulierung benutzten damals viele Leute. Ich hatte diesen gegenüber einen Vorteil, weil ich mich ständig mit dem Thema befasste, Veränderungen nicht nur erwartete, sondern sie ausdrücklich herbeiwünschte und im Voraus zu berechnen versuchte. In den folgenden Jahren sollte mir dies buchstäblich das Leben retten.
Nachdem wir begannen, die Technik gezielt in unsere Körper einzubauen, entdeckten wir zu unserer freudigen Überraschung, dass wir damit nicht nur diverse Krankheiten abschaffen konnten, sondern sogar das Sterben. Von da an war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Ewiggestrigen, die glaubten, sich nicht damit beschäftigen zu müssen, allesamt vom Sensenmann geholt wurden.
Wir trauerten um einige von ihnen, die ja keine schlechten Menschen gewesen waren, aber die grosse Masse hatte sich durch ihre fanatische Ablehnung aller Veränderungen so unbeliebt gemacht, dass man sie bald ignorierte und daher auch nicht vermisste. Man nannte sie „die Scrooges“ und viele versuchten, für diese Unglücklichen die Rolle der wohlwollenden Geister zu spielen, aber das klappte nur in wenigen Fällen.

Der Wunsch nach Veränderungen entsprang nicht nur bei mir aus der Unzufriedenheit mit der Gegenwart und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Wir wollten die Veränderungen nicht um ihrer selbst willen, sondern um einen Idealzustand zu erreichen, den ich selbst mangels eines besseren Begriffes als das Paradies auf Erden bezeichnete. Stanislaw Lem hatte es 1964 (im Vorwort zur „summa technologiae“) noch für unwahrscheinlich gehalten, dass die Menschen jemals zufrieden sein könnten und keinen weiteren Fortschritt mehr anstreben würden, aber da kannte er die KIs nicht.
Sie gaben uns einen solchen Überfluss, dass – wiederum buchstäblich – nichts mehr zu wünschen übrig blieb. Sattheit wurde zur Übersättigung und wer mit hundert Jahren alles gesehen und alles erlebt hatte, der konnte dann wie Laozi oder Simplicissimus dem ganzen Trubel den Rücken kehren und sich auf einen einsamen Planeten zurückziehen oder sich eben diesem Trubel um so hemmungsloser ergeben.
Ich selbst vereine in meinem achtzig Jahre alten Körper die Weisheit dieses Alters mit den Fähigkeiten eines Zwanzigjährigen und verspüre noch keine Lust auf Isolation. Es ist einfach nur schön, ein solches Leben zu geniessen und in meinem Privatraumschiff durch die Galaxie zu schippern, denn das bietet Ruhe oder Action ganz nach Bedarf.

Aufgrund der erwähnten Zurückhaltung der KIs steht es den Menschen auch frei, primitiver zu sein, als sie sein müssen, sich bewusst auf Planeten niederzulassen, auf denen ihr Leben in Gefahr ist und zwar durch Naturereignisse wie Erdbeben, Sturmfluten und Vulkanausbrüche, die man absichtlich nicht durch Geoengineering ausgeschaltet hat. Es wurden sogar Welten mit wilden Tieren aller Art geschaffen, mit denen die Menschen ringen können.
Das geht nicht immer gut und viele Leute, die sich selbst überschätzt haben oder ihre Kinder, die keine Wahl hatten, rufen dann um Hilfe, die von anderen, die nichts Besseres zu tun haben, bereitwillig geleistet wird. Es ist also immer noch Platz für Millionen von Helden und wer nicht nur Studien treibt wie ich, der kann seinen Kampfgeist voll und ganz ausleben.

Die Neubesiedelung des Sol-Systems liegt trotz dieses Geistes noch ein wenig in der Zukunft, denn wir müssen warten, bis die Gammastrahlung hinreichend abgeklungen ist.

Bewohner der Erde, ich spreche zu euch aus einer Distanz von weniger als vierzig Jahren, das ist nichts in kosmischen Dimensionen, dazu kommt, dass die Technik, die unser heutiges Leben ermöglicht, auch zu eurer Zeit schon bekannt ist, dennoch, so fürchte ich, werdet ihr mir nur wenig Glauben schenken, wenn euch meine Worte überhaupt erreichen.
Da kann ich euch nun freilich nicht helfen, es drängt mich nur, diese Dinge trotzdem zu sagen, mag daraus werden, was will.


*Dramatisches Ausatmen*
 


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