„Er
war von der Klippe gesprungen und stellte fest, dass er fliegen
konnte“ (Pratchett, „Die volle Wahrheit“) oder nüchterner
ausgedrückt, sobald man „eingefahrene Gleise“ verlässt,
Konventionen überwindet, Grenzen überschreitet, stellt man fest,
dass dies nicht zum Weltuntergang führt, sondern dass es dann „nur“
andere Wege gibt, andere Dinge, die man tun kann, von der Gestaltung
eines Tages bis zur Gestaltung eines Gemeinwesens.
Da
der Mensch ein Gewohnheitstier ist, erzeugen solche Veränderungen
einen starken Eindruck und werden als „überraschend“ oder sogar
„erschütternd“ beschrieben. Manchmal machen sie Angst und man
schaudert zurück, aber unsere unstillbare Neugierde bringt uns
selbst nach solchen Vorfällen immer wieder zum Experimentieren, wenn
nicht mit der selben Sache, dann mit einer anderen, denn ein Leben
ohne Veränderung ist unmöglich.
Diese
Neugierde wiederum ist eine Auswirkung des tief im Stammhirn
verwurzelten Überlebenstriebs, alles Unbekannte betrachten wir als
potenziell gefährlich und deswegen müssen wir es erkunden. Auf
diese Weise gelangen wir zu neuen Informationen, die, nachdem das
Gehirn sie als „nicht gefährlich“ eingestuft hat, in anderer
Weise genutzt werden.
Sogar
wenn wir etwas verlieren, wird unsere Existenz danach nicht ärmer,
auch wenn es sich so anfühlt, denn das Universum ist so gross und
enthält so viele Dinge, dass die Lücke sich von selbst mit etwas
Anderem füllt. Es ist zu kurz gegriffen, wenn man in diesem
Zusammenhang von „Ersatzhandlungen“ spricht, als ob das Neue
niemals so gut sein könnte wie das Alte. Die äusseren Unterschiede
zwischen etwa einer verheilten Hautverletzung, die man anschliessend
nicht mehr sieht und dem Verlust eines geliebten Menschen, dessen
Bild man dann über Jahrzehnte verehrt, liegen lediglich im
Intensitätsgrad, mit dem das jeweilige Erlebnis auf unser Gehirn
wirkt. Schon jetzt, wo wir Menschen immer noch relativ kurzlebig sind
– was bedeuten 80 Jahre gegenüber geologischen Epochen? – kann
man mit absoluter Sicherheit sagen, dass jede Wunde verheilt, so
lange wir am Leben sind.
Millionen,
ja vielleicht Milliarden Male hat sich die rührende Szene
abgespielt, dass das überlebende Mitglied einer Partnerschaft sich
beim Bild des toten dafür entschuldigt, sich neu verliebt zu haben.
Dies ist die eindrücklichste Form eines allgemeinen Musters.
Freilich
ist das nicht immer so einfach, wie ich es hier niederschreibe, denn
unsere Gefühle hindern uns, dieses Prinzip auch nur zu erkennen,
geschweige denn anzuwenden und wenn man von entsprechenden
Gehirnfunktionen spricht, so ist „Herzlosigkeit“ noch das
Mindeste, was einem vorgeworfen wird.
Man
sollte das den Menschen nicht zu sehr ankreiden, denn wir sind nun
mal keine Vulkanier und können uns nur selten logisch verhalten.
Schon diese Beschreibung hier ist nur möglich, weil uns Heutigen die
Erkenntnisse aus mehreren Jahrtausenden des Forschens und Nachdenkens
zur Verfügung stehen – und wahrscheinlich auch, weil ich
persönlich verrückt danach bin, Bücher zu lesen, in denen diese
Erkenntnisse festgehalten sind.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen