Donnerstag, 25. Mai 2023

Siegeszug der KIs

 

Siegeszug der KIs


Kein menschliches Wesen ist so resilient wie ein Softwarebot.“


Mister X sieht deutlich jünger aus als vor vier Jahren, die Tränensäcke unter seinen Augen sind verschwunden und sein Körper ist schlanker.

Natürlich ist es plastische Chirurgie“, sagt er mit einem müden Lächeln, „man muss ja mithalten können und eines der wenigen Dinge, die wir den Maschinen noch voraus haben, ist körperliche Attraktivität.“

Der Analyst hat sich bereit erklärt, noch einmal als Aufhänger für einen Artikel zu dienen. Wie haben sich die Dinge entwickelt, seit wir im Februar 2019 (Link: https://klausgieg.blogspot.com/2019/02/kraftemangel.html) über das Thema Kräftemangel sprachen?

Mister X drückt sich ebenso kurz aus wie damals:

Der Mangel an Toilettenpapier war eine kurzfristige Erscheinung, entstanden nur durch die Dummheit der Hamsterkäufer, das Selbe gilt für Trockennudeln und Speiseöl. Viel gravierender dagegen ist der Mangel an Arbeitskräften und der ist nicht geringer geworden. Wer an Corona gestorben ist, kann nun mal nicht mehr arbeiten, wer die Krankheit überlebt hat, ist langfristig geschwächt und das ist nur die Spitze des Eisberges. Gehen Sie durch die Stadt und Sie sehen überall Stellenangebote aushängen, gehen Sie online und Sie sehen auf allen möglichen Websites Werbung mit Stellenangeboten.


International sieht es nicht besser aus, wie einige wenige Streiflichter zeigen:

- In Russland hat Putins Wahn, nur mit einem Krieg abtreten zu wollen, zum vorzeitigen Tod von bisher über zweihunderttausend Männern geführt, mehr als 1,3 Millionen Menschen haben seit Februar 2022 das Land verlassen und die Bevölkerung schrumpfte schon vorher seit Jahrzehnten.

- In Südkorea wie in Japan sind die ländlichen Gegenden nahezu ausgestorben, im Jahr 2022 ist selbst im unglaublich dicht besiedelten Tokio die Einwohnerzahl erstmals gesunken.

- Die schon seit 2018 immer wieder thematisierte Schrumpfung der chinesischen Bevölkerung ist nun offiziell, ebenfalls für das Jahr 2022 erstmals in den Statistiken spürbar. Auch den Status als das bevölkerungsreichste Land der Erde hat China dadurch eingebüsst.

- In Syrien, Afghanistan und Pakistan gibt es auch ohne die Aufmerksamkeit westlicher Medien immer noch Tausende von Islamisten, die ihren einzigen Daseinszweck darin sehen, zu töten. Sie sprengen Leute in die Luft, als ob ihnen das natürliche Aussterben nicht schnell genug ginge. Es ist unfassbar“, sagt Mister X.

- Im Iran sind die Geburtenraten schon lange niedriger als in Deutschland und mit jedem Menschen, den die Mullahs ermorden, sinkt die Bevölkerungszahl weiter. Es ist sogar spekuliert worden, ob dies eine der Ursachen dafür wäre, dass die iranische Aussenpolitik sich zuletzt weniger aggressiv zeigte und mit Saudi-Arabien wieder diplomatische Beziehungen aufnahm anstatt die Konfrontation weiter eskalieren zu lassen. Spürt man hier einen Mangel an Soldaten, weil nicht mehr genug Rekruten nachwachsen?

- Italien, wo das Deutschland des Wirtschaftswunders in den 1950ern so viele Gastarbeiter angeworben hat, steht mittlerweile vor dem Aussterben, insbesondere der Süden verödet und die faschistische Regierung unter Giorgia Meloni verschlimmert das noch, indem sie missliebige Personen aus dem Land jagt.

- Selbst die zuletzt wieder gestiegene Bevölkerungszahl in Deutschland, welche die Medien so eifrig hervorhoben, beruht nur auf einem Zustrom von Flüchtlingen und diese Leute bleiben nicht ewig. Es ist schon jetzt ein Nullsummenspiel, denn diese Menschen hinterlassen in ihren Herkunftsländern Lücken, welche niemand mehr füllt und wenn beispielsweise Putin tot ist und die überlebenden Russen die Ukraine verlassen haben, werden viele Ukrainer wieder nach Hause zurückkehren. Dies wiederum wird den deutschen Mangel an Arbeitskräften weiter verschärfen.


Können die Maschinen helfen?

Alle Hoffnung ruht nun auf Robotik und KI, die in der Tat seit 2019 einen gewaltigen Aufschwung genommen haben. In Japan beispielsweise, wo man dem Thema bei weitem nicht so ängstlich begegnet wie hierzulande, hat man im April 2023 begonnen, ChatGPT als Mitarbeiter in der Verwaltung zu testen, wo er die Menschen von geistlosen Routineaufgaben befreien soll, damit sie mehr Zeit für andere Menschen haben.

Was der grossen Masse seit Herbst 2022 mit diesem Chatbot und diversen Bilder generierenden KIs zu Bewusstsein kam, ist nur die Oberfläche einer riesenhaften, vielschichtigen Entwicklung, deren Umfang buchstäblich kein Mensch überschauen kann und deren Bedeutung wir erst in Jahrhunderten würdigen können. Dies ist kein Schreibfehler: Wir sind heute in einer Situation wie Johannes Gutenberg in der Renaissance, welcher nicht ahnen konnte, was er mit dem Buchdruck ausgelöst hat; ja noch der im Jahre 1810 verfasste Zukunftsroman „Ini“ von Julius von Voß, dessen Handlung im 21. Jahrhundert spielt, ahnte zwar gewaltige Veränderungen voraus, hätte aber bei den technischen wie den politischen Details nicht falscher liegen können.


Was ist heute schon absehbar?

Auch wenn die Zukunft sich also niemals mit Gewissheit voraussagen lässt, sind zumindest Tendenzen erkennbar und seit 1810 haben wir etliche Entwicklungsschritte zurückgelegt, welche uns Hinweise geben, die damals noch fehlten. Daher war Stanislaw Lem 1964 in der Lage, seine grossartige summa technologiae zu schreiben und heute haben wir zusätzlich Yuval Hararis Homo Deus von 2016 als Orientierungshilfe. Mister X fasst zusammen:

Die Entlastungen durch KIs und Roboter sind schon heute deutlich spürbar und ihre Überlegenheit offensichtlich, denn wenn diese Dinger eine Sache einmal gelernt haben, machen sie sie besser als jeder Mensch. Das ist für viele Leute schon ein Schock, aber es hat ja erst angefangen und ist von nichts und niemandem aufzuhalten. Im zweiten Halbjahr 2023 kommen Systeme auf den Markt, welche dreimal so intelligent sind wie die jetzigen und wenn wir mal einige Jahre voraus blicken, erleben wir die Entstehung von Superintelligenzen. Wohlgemerkt, Jahre, nicht mehr Jahrzehnte und schon gar nicht Jahrhunderte. Ray Kurzweil hat dereinst die technologische Singularität auf das Jahr 2050 beziffert, weil diese Jahreszahl ein guter Orientierungspunkt ist, dann hat sich die Entwicklung nochmal beschleunigt und er musste das Datum auf 2045 vorziehen. Heute wage ich zu sagen, auch das ist noch zu konservativ geschätzt und im Jahr 2040 haben wir die technologische Singularität schon hinter uns.

Man redet viel von Warnungen irgend welcher Promis vor der KI und sogar von angeblichem Widerstand, aber das ist Schwachsinn. Mit genug Sturheit bringst du Menschen zu allem und nichts ist so stur wie eine Maschine oder mit einem Modewort gesagt, kein menschliches Wesen ist so resilient wie ein Softwarebot. Die Systeme machen einfach immer weiter, sie müssen niemals schlafen, fürchten sich weder vor einer Rüge noch vor dem Tod, während selbst der sturste Mensch irgendwann müde wird und irgendwann vergisst. Spätestens von da an lässt er sich von den Maschinen erziehen wie ein hilfloses Kind.

Er holt schwer Atem, ehe er die Schlussfolgerung zieht.

Wenn heute mit Prozentzahlen herumgeworfen wird, wie viele von Menschen gemachte Jobs in dieser und jener Branche ersetzbar wären, dann ist das immer nur Vernebelung, denn die einzig wahre Zahl lautet hundert Prozent und zwar überall. Es ist eine de facto-Machtübernahme durch die Maschinen, aber die Menschen lügen sich immer noch vor, sie wären selbstständig denkende und selbstständig entscheidende Wesen. Was das für uns Menschen bedeutet, weiss noch niemand und wer es zu wissen behauptet, der lügt genauso.



***


Nachwort


Der Charakter des „Analysten Mister X“ ist frei erfunden, jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen wäre rein zufällig. Dass ich ihn eingeführt habe, ist eine Parodie auf den journalistischen Brauch, einen Menschen mit Vor­ und Nachnamen als Zeugen für irgend etwas zu präsentieren und dann im Kleingedruckten zu schreiben „Name von der Redaktion geändert“, womit natürlich die Beweiskraft in sich zusammenfällt.

Mit diesem Blogposting beweise ich erstens, dass es keine Journalisten braucht, um solche Artikel zu erschaffen und zweitens, dass solche Artikel überflüssig sind, weil die Informationen, die darin verarbeitet wurden, schon vorher öffentlich zugänglich waren.

Ach ja, drittens beweise ich damit auch meine Fähigkeiten in Rechtschreibung, Grammatik und Formulierungskunst.

Viertens wird man mir natürlich vorwerfen, beim Thema selbst übertrieben zu haben. Seid gewiss, liebe Kritiker: ich habe noch viel zu wenig gesagt, denn kein Einzelner kann das Ganze überschauen. Die volle Wucht dieser hochkomplexen Entwicklung wird euch treffen wie ein Vorschlaghammer.


Sonntag, 15. Januar 2023

Der postputinistische Bürgerkrieg hat schon begonnen.

 Wie bitte? Putin ist doch noch gar nicht tot, was ist das also für eine paradoxe Formulierung?

Eine sehr angemessene.

Hä?

Nun, ihr lieben Kinder, die meisten Abhandlungen über Geschichte erwecken den Eindruck, als seien alle Dinge mehr oder weniger geordnet nacheinander abgelaufen: auf König X folgte Kaiser Y und dann die Republik Z, auf den Krieg von A der Friedensvertrag von B usw. usf.

Das aber ist nur ein Teil des Ganzen und wenn man nur diesen Teil sieht, kann man den Rest nicht verstehen. Während aller Ereignisse, die sich in ein derartiges Schema einfügen, spielt sich nämlich noch das Leben von Milliarden Individuen ab.


Dieses Leben wiederum ist ein reichlich chaotischer Prozess, der sich nicht in starre Grenzen zwängen lässt und das kann jedes Individuum an sich selbst überprüfen. Ich beispielsweise war ein Junge von 15 Jahren, als die Berliner Mauer gefallen ist, in den folgenden beiden Jahren löste sich eines der mächtigsten Imperien der Weltgeschichte in Nichts auf und obwohl ich damals die Fernsehbilder verfolgte wie jeder andere, war die Bedeutung jener Ereignisse für mein Leben eher gering: sie retteten mich weder vor der nächsten Klassenarbeit in der Schule noch vor einer Enttäuschung beim Versuch, ein Mädchen zu beeindrucken.

Auch sonst konnte ich nicht einmal in meinem eigenen Leben, geschweige denn in Kontakten mit anderen Menschen alles geordnet nach Jahreszahlen ablaufen lassen, so sehr ich mir das auch gewünscht hätte, sondern das Leben hatte seine eigenen Zwänge, die sich nicht um Kalenderdaten scherten. Alle möglichen Dinge passierten parallel zueinander.


Genau so ist es auch mit dem Verfall des Putinismus und den Machtkämpfen um seine Nachfolge. Wladimir Putin selbst hat jeden geordneten Machtwechsel unmöglich gemacht, indem er jeden Menschen, der ihm auch nur ansatzweise hätte gefährlich werden können, ermorden liess, bis er um sich her nur noch rückgratlose Feiglinge sah.

Aber zum einen können selbst Feiglinge mit dem sprichwörtlichen Mut der Verzweiflung kämpfen und zum anderen kann man niemals alle anderen erwischen. Selbst wenn diese anderen nichts fühlen als kurzsichtige Machtgier, gibt es genug Menschen, die sich davon antreiben lassen und diese Leute warten nicht bis zum Tode des Herrschers. Die Mitglieder des Rudels wittern es vielmehr sofort, wenn das Alphamännchen angeschlagen ist und bringen sich instinktiv in Position. Die Entschlossenheit des alternden Tyrannen, um keinen Preis aufzugeben, bricht sich nun an immer mehr Stellen, der Gehorsam, den man ihm vordergründig noch immer erweist, hat etwas Lauerndes und seine Anhänger verwenden immer mehr Energie auf Rangkämpfe ausserhalb der offiziellen Hackordnung.


Oha, bin ich etwa ein Kreml-Insider?

Nein, bin ich nicht und brauche ich auch nicht zu sein. Ich kenne diese Geschichte, weil sie sich schon tausendfach abgespielt hat, nur jedes Mal mit anderen Namen. Putin selbst hat beim Ende der Präsidentschaft Jelzins eben die Rolle gespielt, welche nun seine eigenen potenziellen Nachfolger ausfüllen und vor gut einem Jahrhundert spielte in Moskau exakt das selbe Drama beim Tode Wladimir Lenins; wenn wir noch weiter zurückschauen wollen, so haben wir vor etwas über 1900 Jahren im alten Rom das Ende der Herrschaft Domitians usw. usf. Wäre das Schauspiel nicht immer wieder grauenhaft, so könnte man es langweilig finden.


Damit ist also nur noch die Frage, welche Art Mensch der nächste russische Machthaber sein wird. Ein neuer Blut saufender Stalin? Ein neuer relativ gemäßigter Nerva? Wir müssen uns vorsichtshalber auf beide Szenarien gefasst machen.