Sonntag, 23. März 2014

Zur Jugend von heute


Am 20. Februar 2014 durften eine Arbeitskollegin und ich eine geradezu verblüffende Erfahrung machen, denn wir begegneten morgens im Bus einem höflichen Jugendlichen!
Das Fahrzeug war ziemlich voll, unter anderem mit Schulkindern, so dass wir beide stehen mussten – und plötzlich erhob sich einer dieser Schüler, ein Junge von vielleicht zwölf Jahren, und bot meiner Kollegin seinen Platz an.
Stunning.
Wir waren beide sprachlos, denn wir hatten der Jugend von heute pauschal keine guten Umgangsformen mehr zugetraut.

Diese kleine Episode brachte mich ins Grübeln. Dass Asiaten sich noch die Mühe machen, ihre Kinder zu erziehen, wusste ich schon länger und bewunderte es, aber von weissen Eltern hatte ich nichts mehr erwartet. Das ging so weit, dass ich mich bei einem einige Jahre alten Artikel zu Wirtschaftsthemen, dessen Quelle mir leider entfallen ist, vor allem über den Satz ärgerte, man würde mit wachsendem Einfluss Chinas in Europa „ein strenges Erziehungssystem fürchten“.
Ich sass damals vor dem Bildschirm, starrte auf diese Zeile und fragte „Fürchten? Haben die Manager den Verstand verloren? Wie kann man die einzig praktikable Rettung fürchten?“
Nun habe ich mit eigenen Augen gesehen, dass es mindestens einen europäischen Jungen gibt bzw. eine Familie, die nichts zu fürchten hat, sondern den Anforderungen unserer künftigen Beherrscher gewachsen ist. Das macht Hoffnung für unseren alten Kontinent.

Wir wissen nicht, wie dieser Junge heisst, denn damals waren wir zu überrascht, um nach seinem Namen zu fragen und vielleicht möchte er ja auch nicht genannt werden. Daher sei wenigstens gesagt: Solltest du dies einmal lesen, geheimnisvoller Fremder ;-), so nimm auf diesem Weg unsere Komplimente entgegen. Du bist Vorbild.

Die Sache lässt sich auch noch weiterdenken: Vor etwas über 2'300 Jahren hatte Makedonien einen König namens Philipp II., der ein so tatkräftiger und erfolgreicher Mann war, dass sein Sohn, ein gewisser Alexander, einmal fragte, ob sein Vater ihm denn gar keine Arbeit mehr übrig lassen wollte.
Heute hat sich diese Situation umgekehrt und wir Erwachsene müssen uns vor den Kindern schämen. Einige Beispiele aus den letzten Jahren:
- Ein zehnjähriges Mädchen entdeckt eine Supernova, die allen Erwachsenen in der Astronomie, Profis wie Amateuren, entgangen ist (spiegel.de)
- Ein dreizehnjähriger Junge erfährt, dass ein Vierzehnjähriger einen Fusionsreaktor gebaut hat, ist entschlossen, diesen Rekord zu unterbieten und schafft es tatsächlich noch vor seinem vierzehnten Geburtstag (alle Nachrichtenmedien)
- Ein achtjähriger Junge leidet an einer seltenen Krankheit und sein bester Freund, der noch ein Jahr jünger ist, will sich damit nicht abfinden. Also trommelt er 750'000 Doller Spenden zusammen, damit die Krankheit erforscht werden kann (focus.de). Ein Siebenjähriger!

Was tun indessen wir, „die Grossen“? Heulen uns gegenseitig die Ohren voll, wie schlecht doch alles wäre und wie ungerecht und dass alles immer schlimmer würde und wenn wir das mal nicht tun, konsumieren wir „Nachrichten“ mit Boulevardthemen, um wieder neuen Stoff zum Jammern zu finden.

Damit kann ich die süffisant grinsende Frage schon hören: „Nuuun, Klaus Gieg, hast DU denn etwas geleistet?“
Nein.
Ich bin neununddreissig, werde in einigen Monaten vierzig und habe buchstäblich NICHTS geleistet.

Beispiel: Als ich sieben Jahre alt war, starb einer meiner Mitschüler an Krebs. Was tat ich? Gar nichts. Es kam mir nicht einmal der Gedanke, dass diese Krankheit erforscht und bekämpft werden könnte.
Was tat der Rest unserer Schulklasse? Wir schrieben dem Jungen einen Brief mit guten Wünschen, als er tot war, besuchten wir sein Grab und einige alte Leute trösteten uns mit der Phrase „Du kannst ja doch nichts machen“.
Diese Alten von damals sind heute selber tot, also ihrer Verantwortung entzogen und mir bleibt nur noch die Scham, im Jahr 1981 nicht einmal die richtigen Fragen gestellt zu haben, geschweige denn, dass ich irgend etwas anderes getan hätte.

Seitdem gab es noch viele Gelegenheiten, etwas zu tun, von richtig machen gar nicht zu reden – und ich war dermassen untätig, dass ich die Dinge nicht einmal falsch machte. Meine persönliche Eitelkeit hält es schon für einen Fortschritt, dass ich keine Boulevardmedien konsumiere, keinen Fernseher besitze sowie dass ich hinreichend gut lesen und schreiben kann, um diese Texte hier zusammenzubauen. Daneben arbeite ich 42 Stunden pro Woche, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen und kritzele z.B. in der Strassenbahn rasch einige Zeilen auf ein Blatt, um eine Idee festzuhalten, die sich in diesem Moment nicht weiter verfolgen lässt und die ich dann irgendwann in meiner Freizeit wieder aufgreife.
Das ist wenig, wenn man bedenkt, wie viele Herausforderungen einem das Universum ständig entgegen schleudert und daraus folgt, es ist Grund genug, mehr zu tun als bisher.

Werde ich etwas tun und wenn ja, was?
Back to the 80s“, wie die Gruppa „Aqua“ einst sang? Nein! Diese finstere und barbarische Epoche mit allen ihren Begrenzungen kenne ich zur Genüge und will sie kein zweites Mal betreten. Vorwärts, nur vorwärts und sei es als die sprichwörtliche „Flucht nach vorn“, denn darin besteht die einzige Hoffnung.

Auf meiner Festplatte liegen noch einige Texte herum, die ich perfektionieren und bloggen möchte, womit ich im Idealfall dem einen oder anderen Leser nütze; eigene Wissenslücken, die mich früher so oft ärgerten, sind geschlossen, wobei es sehr nützlich war, dass ich heute weiss, wo ich suchen muss: in der Hauptsache im Internet, beginnend bei der Wikipedia und von da an ggfs. den externen Links folgend; bei Lernvideos auf Youtube und sogar einige gedruckte Bücher haben sich noch als nützlich erwiesen. Nebenbei kann man in der Wikipedia noch Rechtschreibung und Grammatik an einigen Stellen verbessern.
Damit bin ich im Vergleich zu meiner Situation vor dreissig Jahren von „völlig nutzlos“ zu „ein wenig nützlich“ gelangt, das reicht aber im Vergleich zu dem, was Kinder und Jugendliche von heute leisten, noch lange nicht aus. Vor diesen werde ich mich also weiter zu schämen haben.

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