Am
20. Februar 2014 durften eine Arbeitskollegin und ich eine geradezu
verblüffende Erfahrung machen, denn wir begegneten morgens im Bus
einem höflichen Jugendlichen!
Das
Fahrzeug war ziemlich voll, unter anderem mit Schulkindern, so dass
wir beide stehen mussten – und plötzlich erhob sich einer dieser
Schüler, ein Junge von vielleicht zwölf Jahren, und bot meiner
Kollegin seinen Platz an.
Stunning.
Wir
waren beide sprachlos, denn wir hatten der Jugend von heute pauschal
keine guten Umgangsformen mehr zugetraut.
Diese
kleine Episode brachte mich ins Grübeln. Dass Asiaten sich noch die
Mühe machen, ihre Kinder zu erziehen, wusste ich schon länger und
bewunderte es, aber von weissen Eltern hatte ich nichts mehr
erwartet. Das ging so weit, dass ich mich bei einem einige Jahre alten Artikel zu Wirtschaftsthemen, dessen Quelle mir leider entfallen ist, vor allem über den Satz ärgerte, man
würde mit wachsendem Einfluss Chinas in Europa „ein strenges
Erziehungssystem fürchten“.
Ich
sass damals vor dem Bildschirm, starrte auf diese Zeile und fragte
„Fürchten? Haben die Manager den Verstand verloren? Wie kann man
die einzig praktikable Rettung fürchten?“
Nun
habe ich mit eigenen Augen gesehen, dass es mindestens einen
europäischen Jungen gibt bzw. eine Familie, die nichts zu fürchten
hat, sondern den Anforderungen unserer künftigen Beherrscher
gewachsen ist. Das macht Hoffnung für unseren alten Kontinent.
Wir
wissen nicht, wie dieser Junge heisst, denn damals waren wir zu
überrascht, um nach seinem Namen zu fragen und vielleicht möchte er
ja auch nicht genannt werden. Daher sei wenigstens gesagt: Solltest
du dies einmal lesen, geheimnisvoller Fremder ;-), so nimm auf diesem
Weg unsere Komplimente entgegen. Du bist Vorbild.
Die
Sache lässt sich auch noch weiterdenken: Vor etwas über 2'300
Jahren hatte Makedonien einen König namens Philipp II., der ein so
tatkräftiger und erfolgreicher Mann war, dass sein Sohn, ein
gewisser Alexander, einmal fragte, ob sein Vater ihm denn gar keine
Arbeit mehr übrig lassen wollte.
Heute
hat sich diese Situation umgekehrt und wir Erwachsene müssen uns vor
den Kindern schämen. Einige Beispiele aus den letzten Jahren:
-
Ein zehnjähriges Mädchen entdeckt eine Supernova, die allen
Erwachsenen in der Astronomie, Profis wie Amateuren, entgangen ist (spiegel.de)
-
Ein dreizehnjähriger Junge erfährt, dass ein Vierzehnjähriger
einen Fusionsreaktor gebaut hat, ist entschlossen, diesen Rekord zu
unterbieten und schafft es tatsächlich noch vor seinem vierzehnten
Geburtstag (alle Nachrichtenmedien)
-
Ein achtjähriger Junge leidet an einer seltenen Krankheit und sein
bester Freund, der noch ein Jahr jünger ist, will sich damit nicht
abfinden. Also trommelt er 750'000 Doller Spenden zusammen, damit die
Krankheit erforscht werden kann (focus.de). Ein Siebenjähriger!
Was
tun indessen wir, „die Grossen“? Heulen uns gegenseitig die Ohren
voll, wie schlecht doch alles wäre und wie ungerecht und dass alles
immer schlimmer würde und wenn wir das mal nicht tun, konsumieren
wir „Nachrichten“ mit Boulevardthemen, um wieder neuen Stoff zum
Jammern zu finden.
Damit
kann ich die süffisant grinsende Frage schon hören: „Nuuun, Klaus
Gieg, hast DU denn etwas geleistet?“
Nein.
Ich
bin neununddreissig, werde in einigen Monaten vierzig und habe
buchstäblich NICHTS geleistet.
Beispiel:
Als ich sieben Jahre alt war, starb einer meiner Mitschüler an
Krebs. Was tat ich? Gar nichts. Es kam mir nicht einmal der Gedanke,
dass diese Krankheit erforscht und bekämpft werden könnte.
Was
tat der Rest unserer Schulklasse? Wir schrieben dem Jungen einen
Brief mit guten Wünschen, als er tot war, besuchten wir sein Grab
und einige alte Leute trösteten uns mit der Phrase „Du kannst ja
doch nichts machen“.
Diese
Alten von damals sind heute selber tot, also ihrer Verantwortung
entzogen und mir bleibt nur noch die Scham, im Jahr 1981 nicht einmal
die richtigen Fragen gestellt zu haben, geschweige denn, dass ich
irgend etwas anderes getan hätte.
Seitdem
gab es noch viele Gelegenheiten, etwas zu tun, von richtig machen gar
nicht zu reden – und ich war dermassen untätig, dass ich die Dinge
nicht einmal falsch machte. Meine persönliche Eitelkeit hält es
schon für einen Fortschritt, dass ich keine Boulevardmedien
konsumiere, keinen Fernseher besitze sowie dass ich hinreichend gut
lesen und schreiben kann, um diese Texte hier zusammenzubauen.
Daneben arbeite ich 42 Stunden pro Woche, um mir meinen
Lebensunterhalt zu verdienen und kritzele z.B. in der Strassenbahn
rasch einige Zeilen auf ein Blatt, um eine Idee festzuhalten, die
sich in diesem Moment nicht weiter verfolgen lässt und die ich dann
irgendwann in meiner Freizeit wieder aufgreife.
Das
ist wenig, wenn man bedenkt, wie viele Herausforderungen einem das
Universum ständig entgegen schleudert und daraus folgt, es ist Grund
genug, mehr zu tun als bisher.
Werde
ich etwas tun und wenn ja, was?
„Back
to the 80s“, wie die Gruppa „Aqua“ einst sang? Nein! Diese
finstere und barbarische Epoche mit allen ihren Begrenzungen kenne
ich zur Genüge und will sie kein zweites Mal betreten. Vorwärts,
nur vorwärts und sei es als die sprichwörtliche „Flucht nach
vorn“, denn darin besteht die einzige Hoffnung.
Auf
meiner Festplatte liegen noch einige Texte herum, die ich
perfektionieren und bloggen möchte, womit ich im Idealfall dem einen
oder anderen Leser nütze; eigene Wissenslücken, die mich früher so
oft ärgerten, sind geschlossen, wobei es sehr nützlich war, dass
ich heute weiss, wo ich suchen muss: in der Hauptsache im Internet,
beginnend bei der Wikipedia und von da an ggfs. den externen Links
folgend; bei Lernvideos auf Youtube und sogar einige gedruckte Bücher
haben sich noch als nützlich erwiesen. Nebenbei kann man in der
Wikipedia noch Rechtschreibung und Grammatik an einigen Stellen
verbessern.
Damit
bin ich im Vergleich zu meiner Situation vor dreissig Jahren von
„völlig nutzlos“ zu „ein wenig nützlich“ gelangt, das
reicht aber im Vergleich zu dem, was Kinder und Jugendliche von heute
leisten, noch lange nicht aus. Vor diesen werde ich mich also weiter
zu schämen haben.
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