Quantengedanken
„ ... wodurch das
betreffende Objekt über elf Dimensionen geschmiert wird.“ („Echt
zauberhaft“) oder „Was wir als vergehende Zeit empfinden, sind
nur Quantenfluktuationen im Gefüge der Raum-Zeit.“ („Die volle
Wahrheit“)
Diese Zitate aus Werken
von Terry Pratchett halfen mir unerwarteter Weise dabei, die
Quantenphysik zu begreifen.
Dass nach Einstein Raum
und Zeit, die man zuvor als getrennt ansah, eine Einheit bilden, die
vier Dimensionen hat, habe ich verstanden. Dann aber kommt die
Quantenphysik mit ihrer Unschärfe und Unvorhersagbarkeit und das
wollte mir nicht in den Kopf. Jahrzehnte habe ich damit gerungen.
Erste Hilfe war der
Hinweis, dass Schrödingers Katze eine Metapher ist und der Fehler
immer darin lag, diese Metapher wörtlich zu nehmen. Popper als
Nichtphysiker versuchte es auch mit dem Bild eines Münzwurfs, wobei
die Münze nach dem Fall sowohl Kopf als auch Zahl zeigt, solange
niemand hinsieht, also „zur Hälfte in dem einen und zur Hälfte in
dem anderen Zustand ist“ (Karl-Popper-Lesebuch).
Auf der Makroebene, auf
der wir leben und die wir „wirkliche Welt“ nennen, kann das nicht
funktionieren, sondern sorgt nur für Verwirrung und für
berechtigten Spott.
Geht man jedoch einige
Ebenen tiefer, eben auf Quantengrösse, sieht das schon anders aus.
Hier sind verschiedene Zustände eines Teilchens zu ein und demselben
Zeitpunkt normal. Leben kann sich hier nicht entwickeln, es gibt
keine „Quantenkatze“, sondern nur Teilchen – wobei auch dieses
Wort schon wieder irreführend ist, da wir ja bekanntlich eine
Welle-Teilchen-Dualität haben. Diese „Wellen- Teilchen“, von den
Elektronen bis zur untersten Ebene von allem, den Quarks, sind die
kleinsten Bausteine des Universums und können trotz ihrer
„Unschärfe“ mathematisch erfasst und physikalisch beeinflusst
werden. Darüber hinaus ist diese Unschärfe nicht von Dauer, sondern
derartige „Überlagerungen von verschiedenen Zuständen“ wandeln
sich in Einzelzustände um, wenn sie einer hinreichenden Einwirkung
von aussen ausgesetzt sind.
Wenn wir von der
untersten Ebene aufwärts gehen, schliessen sich die Quarks zu den
subatomaren Teilchen zusammen, diese wiederum zu Atomen, die Atome zu
Molekülen und erst aus den Molekülen wird das, was wir Materie
nennen: Holz, Stein, Metall, Wasser, Proteine, Aminosäuren,
Sauerstoff, Stickstoff usw.
Wir nennen nur diese
Materie die „wirkliche Welt“, aber die anderen Dimensionen, die
unsere begrenzten Sinne nicht erfassen können, sind ebenso real.
Nachdem sie endlos von der Esoterik oder gar von der Religion
missbraucht wurden, können wir sie mittlerweile
auseinandersortieren. Um erneut eine Metapher zu gebrauchen: unsere
„Wirklichkeit“ ist die Oberfläche eines Ozeans und die
Quantenebene ist der Meeresboden. Auf dem Meeresboden und zwischen
diesem und der Wasseroberfläche tummelt sich eine erstaunliche
Vielfalt an Lebensformen, unterseeischen Vulkanen, schwarzen Rauchern
usw. usf., die alle existieren, ohne dass die Seefahrer ganz oben
auch nur das Geringste davon ahnen. Es spielt keine Rolle, ob
Menschen davon wissen, ob sie es glauben oder theoretisieren, denn
wenn etwas existiert, dann existiert es auch ohne die menschliche
Wahrnehmung.
Gleichzeitig haben die
Dinge unter dem Meer einen spürbaren Einfluss auf die Oberfläche
und auf die angrenzenden Kontinente. Das fällt den Menschen früher
oder später auf und sie werden neugierig. Mit fortschreitender
Technik können sie mehr tun als nur fischen oder Strandgut
einsammeln und schliesslich müssen sie ihre Schulbücher
umschreiben, weil das neue Wissen trotz aller Scheiterhaufen und
Folterkeller nicht mehr ignoriert werden kann.
Genau so ist es auch mit
den Dingen auf der Quantenebene. Wir können sie nicht sehen, nicht
hören, fühlen, riechen oder schmecken, aber sie haben Auswirkungen
auf das, was wir sehen können und dieseAuswirkungen lassen sich
berechnen. Ein alltägliches Beispiel ist die Verwendung von Digitaltechnik. Oft genug müssen wir bei Datenleitungen den
Stecker herausziehen und wieder einstecken oder einen Computer neu
starten, weil der Elektronenfluss kleine Unregelmässigkeiten
aufweist, die durch Quanteneffekte entstehen und sich in unseren
Geräten als Störungen manifestieren und genau wie wir U-Boote
gebaut haben, die bis in die Tiefe des Marianengrabens abtauchen
können, besitzen wir inzwischen ein Instrumentarium, mit dem wir auf
die Quantenebene vordringen, um solche Effekte zu messen und zu
verstehen.
Diese Quantenebene
scheint übrigens identisch zu sein mit den „zusätzlichen
Raumdimensionen“, die eine weitere Forschungsrichtung postulierte
und auf die es inzwischen experimentelle Hinweise gibt, die mittels
Nanotechnik gewonnen wurden, also ebenfalls mit der Erforschung des
Allerkleinsten.
Und wie sieht das
Universum nun „wirklich“ aus? Wenn es nicht unendlich ist, was
die Physik ja ebenfalls behauptet, was ist dann ausserhalb davon?
Nichts.
Wie bitte?
Sie haben richtig
gelesen. Das Universum ist alles, enthält alles und es gibt kein
„Ausserhalb“, keinen Ort, keinen Raum, keine Zeit. Das ist für
uns Menschen schwer fassbar, weil unsere Wahrnehmung nicht für alle
Dimensionen ausreicht, es ändert aber nichts an der Realität.
Eine gute Metapher dafür
ist die Erde, wie Stephen Hawking so treffend sagt: sie hat keine
Grenze, obwohl sie endlich ist. Dank ihrer Kugelgestalt gibt es
keinen „Rand“, von dem man herunterfallen könnte.
Ebenso ist das ganze
Universum endlich, man hat seine Grösse sogar berechnet, aber es
gibt keinen Punkt, auf den man zeigen kann und sagen, dass es „hier“
zu Ende wäre. Oder nehmen wir das Möbiusband. Es hat weder „Anfang“
noch „Ende“, was aber eine darauf kriechende Ameise nicht daran
hindert, den Punkt, auf dem sie sich befindet, als Oberfläche zu
benutzen. Grafisch dargestellt hat dies M. C. Escher und wenn Sie
wollen, basteln Sie sich selbst eines und probieren Sie es aus.
Soll das heissen, wir
bewegen uns im Inneren einer riesigen Hohlkugel oder wie? Um genau zu
sein, ist die Form des Universums die eines Poincaré-Dodekaeders,
der sich als „mathematisch exakter Fussball“ beschreiben lässt
und einen Durchmesser von 27,6 Milliarden Lichtjahren besitzt. Das
konnte Stephen Hawking in seiner „Kurzen Geschichte der Zeit“
noch nicht schreiben, auch nicht in der erweiterten Neuauflage, weil
wir es erst im Jahr 2004 herausgefunden haben.
Aber was ist dann mit dem
Ursprung des Universums? Urknall schön und gut, aber wer hat ihn
gezündet?
Es gibt kein „Wer“.
Die Quanteneffekte haben ihn hervorgerufen.
Ah-ha, schreit man mir
triumphierend entgegen, und woher kommen die Quanten?
Euer Triumph ist eure
Niederlage. Es gibt kein „Woher“. „Vor“ dem Urknall
existierten kein Raum und keine Zeit, wo die Quanten oder irgend
etwas Anderes hätten sein können. Vergessen Sie die menschliche
Wahrnehmung und das menschliche Zeitgefühl. Sogar der katholische
Heilige Augustinus,
den man beim besten
Willen keinen Wissenschaftler nennen kann, hat das schon vor 1600
Jahren begriffen und sagt ausdrücklich, dass es vor dem Anfang des
Universums keine Zeit gegeben hat.
Deswegen lügt man sich
selbst an, wenn man sagt „Gott ist schon immer gewesen“ oder „Das
Universum ist schon immer gewesen“. Der menschliche Hang zum
Geschichtenerzählen mit Anfang und Ende führt uns in die Irre. Wir
sagen, dass der Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren stattfand und wir
haben die Geschichte unseres Universums bis auf eine
Zehntausendstelsekunde nach diesem Moment rekonstruiert und
wenn es gelingt, diese letzte Zeitspanne zu überwinden, kommen wir
an einen Punkt, an dem es kein „Vorher“ gibt.
Was gibt es dann
überhaupt? Was ist real?
Verschiedene
Quantenzustände, weiter nichts.
Und was heisst das nun?
Dass wir lernen müssen,
mit Unklarheiten und Grauzonen zu leben, dass es keine „letzte
Wahrheit“ gibt, sondern nur verschiedene gleichermassen „richtige“
oder „wahre“ Dinge, je nachdem, von welchem Quantenzustand der
Beurteiler ausgeht.
Es ist nicht nur mir sehr
schwer gefallen, mich mit solchen Gedanken anzufreunden. Unsere Sinne
stehen uns dabei im Weg, liefern uns Botschaften, die wir
„Wirklichkeit“ nennen und wir wehren uns dagegen, etwas anderes
auch nur in Betracht zu ziehen. Wenn es Sie tröstet: Ein so kluger
Mann wie Goethe hatte seine Schwierigkeiten damit, dass das Universum
so ist, wie es ist und wollte lieber im Irrtum verharren.
Gleichzeitig aber
verfügen wir über die Möglichkeit des abstrakten Denkens und die
hat sich letzten Endes durchgesetzt. Wir können Dinge glauben, die
wir nicht sehen, die sogar dem, was wir sehen, ausdrücklich
widersprechen. Die selben Gehirnfunktionen, die das Märchen zum
erfolgreichen Geschäftsmodell gemacht haben, dienen uns auch dazu,
die Wirklichkeit zu verstehen. Hawking sagt „Eine Theorie existiert
nur in unserer Vorstellung und besitzt keine andere Wirklichkeit“.
Das gilt auch für
Märchen und Metaphern. Wir wussten durch Jahrhunderte hindurch, dass
es keine sprechenden Tiere gibt, dass in der wirklichen Welt die
Guten nicht immer gewinnen, ja wir konnten uns sogar schon vor langer
Zeit zu der Aussage vorwagen, dass „Gut“ und „Böse“ „keine
Konstanten sind, sondern nur Funktionswerte“ (Robert Musil, „Der
Mann ohne Eigenschaften“, Erstes Buch, 1930), aber wir wollten an
die Fiktionen glauben. Es war wiederum Terry Pratchett, der mich mit
der Nase auf die Begründung stiess: „Die Menschen müssen an etwas
glauben, sonst hat doch alles keinen Sinn“ („Schweinsgalopp“).
Weil es von Natur aus keinen Sinn gibt, unser Gehirn aber einen
braucht, erfinden wir einen.
Das ist die einzige
Freiheit, die wir haben: uns in einem grossen, kalten und
fremdartigen Weltall für die Erklärung zu entscheiden, die uns am
besten gefällt. Und es ist das, was wir tatsächlich tun, indem wir
an den „letzten Wert“ glauben, an den wir glauben wollen.
Und nein, das ist nicht
philosophisch, sondern so funktionieren unsere Gehirne tatsächlich.
Wir können das heute beweisen, indem wir das Gehirn eines beliebigen
Menschen mit einem Neuroscanner durchleuchten und sein
Glaubenszentrum beobachten (es sitzt vorne links). Wir können das
menschliche Gehirn sogar schon manipulieren, eine Tumoroperation etwa
machte 2010 einen brutalen Gewalttäter zum Weichei, ohne dass man
dies beabsichtigt hätte (faz.net) und schwache Stromstösse auf
bestimmte Hirnareale erzeugen Illusionen verschiedenster Art. Wenn es
also noch Beweise gebraucht hätte, dass alles „Höhere“, von dem
Menschen reden, alle Religionen etwa, nur Einbildung sind, dann wären
sie damit erbracht. Es gibt nur uns.
„Wie kannst du so
leben?“, schreit man mich an.
Ich lache und frage
zurück „Wie sollte ich denn anders leben?“
„Aber das ist doch
schrecklich, so ohne Sinn und ohne Ziel, ohne den Trost, den nur
etwas Höheres spendet.“
„Im Gegenteil“, sage
ich, „das ist das einzig Wahre und Beglückende. Frei von aller
Illusion, frei von allen Lügen der Priester und Prediger, auch frei
von den Lügen der Politiker und ihrer Ideologien.“
Solche Debatten werden
schon seit vielen Jahrtausenden geführt, denn die Menschen sind nun
einmal verschiedener Natur und weil viele Leute ein Nebeneinander
verschiedener Ansichten nicht ertragen können, werden immer wieder
Massaker an Andersdenkenden veranstaltet. Die einzig praktikable
Form, das zu vermeiden, sind Gedankenfreiheit und Demokratie, was
auch die Freiheit bedeutet, seine Meinung zu ändern und in der dann
jedes Individuum sehen kann, wie weit es mit seinen Ansichten kommt.
Im Bewusstsein dieser
Dinge entscheide ich mich für das Wissen. Ich habe alle Philosophien
der Welt geprüft, alle Religionen und alle Ideologien, habe mein
Weltbild immer wieder verworfen und neu aufgebaut, wenn die Theorie
von der Praxis zerschmettert wurde und nun bleiben nur noch
Wissenschaft und Technik übrig. Der Vollständigkeit halber: Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass dieses Weltbild falsch sein und jederzeit zusammenbrechen kann.
In früheren
Jahrhunderten und in den Medien bis heute wird eine Erkenntnis des
ganzen Universums auch als „Weltformel“ bezeichnet, aber dieser
Name beruht auf einem Mißverständnis. Erinnern Sie sich an den
Mathematikunterricht in der Schule: wenn Sie versucht hätten, ein
Rechteck oder einen Kreis mit der selben Formel zu berechnen wie ein
Dreieck, wäre nur Chaos dabei herausgekommen. Eine einzige Formel
kann nicht alles erfassen, eine Theorie kann ganz umgekehrt ohne
Formeln auskommen und trotzdem richtig sein, sie kann auch mehrere
Formeln enthalten, die alle richtig sind, weil jede von ihnen einen
Teil der Theorie abdeckt. Dieses Letztere scheint mir auch auf die
Physik zuzutreffen, denn Newtons Gleichungen wurden ja nicht
plötzlich falsch, als Einstein erschien und Einsteins
Relativitätstheorie behielt ihren Wert trotz der Quantenphysik. Die
„Theorie für Alles“ wird also mehrere Formeln haben, die alle
zusammen das Universum vollständig beschreiben.
Wann wir diese Theorie
endlich haben? Das weiss kein Mensch. Es könnte morgen früh so weit
sein, es
kann aber auch noch
tausend Jahre dauern. Ich persönlich glaube, dass wir es im Lauf des
21. Jahrhunderts hinkriegen werden, ob vor oder nach dem
Weltraumlift, dass muss ich offen lassen.
Wozu eine solche Theorie
gut ist? Nun, zum einen können wir damit alle noch offenen Fragen
beantworten und das ist keine Kleinigkeit. Über dieses Ziel hinaus
wird sie zu technischen Entwicklungen führen, die dem einzelnen
Menschen unendliche Macht verleihen und spätestens damit lässt sich
jeder ködern, dem das Erringen von neuem Wissen nicht genügt.
Damit ist nun das
angeblich so unverständliche Thema Quantenphysik abgehakt und ja,
ich weiss, dass es Leute gibt, die mich für diese Ansicht in der
Luft zerreissen werden. Damit kann ich leben.