Warum wir immer wieder
umlernen müssen
Zunächst einige
Beispiele aus der modernen Welt:
- „Wandlung“, ein
Begriff, den ich 1989 im BWL-Unterricht in der Berufsfachschule
kennen lernte und fast sofort wieder vergass. Im Gedächtnis blieb
nur das Kunstwort „WaMiNeuScha“ als Kürzel für „Wandlung,
Minderung, Neulieferung, Schadenersatz“, was wiederum etwas mit dem
BGB oder HGB zu tun hatte, aber was genau, das war auch vergessen.
Jahre später hörte ich
zufällig, „Wandlung“ gäbe es nicht mehr, da das betreffende
Gesetz neu gefasst worden sei, zu welchem Zweck oder wen betreffend,
blieb mir dunkel. Für Leute, die von Berufs wegen mit Vertrags- oder
Handelsrecht zu tun haben, vom Handyverkäufer bis zum
Universitätsprofessor, ist das jedoch elementar wichtig und sie
mussten ihr Wissen auf den aktuellen Stand bringen.
- „Daten“ wurden
1989/90, als wir dieses Wort in der Schule näher betrachteten, nach
einer DIN-Regelung definiert, die 1993 aufgehoben wurde, als sich
Deutschland der internationalen Norm anschloss. Das Wissen also, das
meine Mitschüler und ich damals über diesen Punkt erwarben, ist
seither wertlos und wir können von Glück sagen, dass die Wikipedia
uns den Unterschied erklärt.
- Gesetze aus der
Kaiserzeit und der Weimarer Republik sind heute nicht nur witzig zu
lesen, sondern schlicht wertlos und müssen durch andere ersetzt
werden, die der modernen Welt angepasst sind – ein langwieriger
Prozess, denn was wusste man im Jahr 1890 vom Datenschutz? Vor allem
Politiker und Beamte, die auf dem geistigen Niveau von damals stehen
geblieben sind, agieren vollkommen hilflos.
In den USA hat man die
Sache etwas klüger angefangen und die meisten Gesetze von vornherein
mit einem Verfallsdatum versehen, d.h., wenn sie nicht immer wieder
ausdrücklich von der Legislative bestätigt werden, treten sie
automatisch ausser Kraft. Auch mit diesem Gedanken können sich
Europäer nur schwer vertraut machen.
- Technik der Jahre 1980,
1990 oder 2000, an der wir einmal ausgebildet wurden, ist heute nur
noch ein Museumsstück. 1990 etwa redeten wir in der Schule über
Computer mit Festplattenkapazitäten im Megabyte-Bereich und da
erzählte einer meiner Mitschüler, ein Freund von ihm habe zu Hause
eine Festplatte mit einem Gigabyte. Wir glotzten ihn an und fragten,
was man denn damit anfangen sollte, weil es sich dabei um eine
Dimension handelte, die für uns am Rande des Vorstellbaren lag. Nur
sieben Jahre später, als Mobiltelefone sich allmählich
ausbreiteten, bemerkte die Zeitschrift Konr@d ironisch, „manche
Leute fühlen sich einfach nicht wohl, wenn sie nicht mindestens ein
Gigabyte Speicher am Leib tragen“, 2002 wurden Telefone mit vier
Gigabyte verkauft, die auch noch alle möglichen und unmöglichen
Zusatzfunktionen bekamen, stationäre Computer sprengten alle
Vorstellungen und es ist kein Ende absehbar. Jedesmal, wenn jemand
behauptet „Mehr geht nicht“, kann man darauf wetten, dass er ein
Jahr später als Lügner dasteht.
- Das lässt sich noch generalisieren mit der Aussage, dass ausser Lesen, Schreiben und den Grundrechenarten alles Schulwissen der 1980er wertlos geworden ist, weil sich die Welt seither extrem verändert hat.
- Das lässt sich noch generalisieren mit der Aussage, dass ausser Lesen, Schreiben und den Grundrechenarten alles Schulwissen der 1980er wertlos geworden ist, weil sich die Welt seither extrem verändert hat.
- In dem Buch „Deutsches
Haus“ aus dem Jahr 2006 schreibt der Autor „Rentner bekommen
keine Kredite“ und diesen Sachverhalt hat man über Jahrzehnte als
böse verschrien.
Das ist Geschichte, denn
es gibt inzwischen ein Grundsatzurteil, nach dem es diskriminierend
ist, Alten wegen ihres Alters einen Kredit zu verweigern, mit dem
Effekt, dass sich nun auch Rentner hemmungslos verschulden, was
wiederum Geldeintreibern, Schuldnerberatern und Insolvenzrichtern
eine neue Art von Kunden bescherte, an die sie sich erst gewöhnen
mussten.
- Ein oft sehr
schmerzhaftes Lernerlebnis haben Leute, die glauben, sich durch eine
Privatinsolvenz von Schulden befreien zu können, denn dieser Vorgang
bringt von Gesetzes wegen eine Gehaltspfändung mit sich, so dass den
Leuten danach weniger zum Leben bleibt als vorher, gar nicht davon zu
reden, dass die Privatinsolvenz erst einmal vom Gericht genehmigt
sein muss, aber in 80 % der Fälle abgelehnt wird und dass man durch
diesen Vorgang seine Kreditwürdigkeit fürs ganze Leben verliert.
Das schreiben die
Zeitungen natürlich nicht, sondern verkaufen die Insolvenz als
einfachen Fluchtweg, was den Lerneffekt für Leute, die Zeitungen und
Fernsehsendern vertrauen, um so schockierender macht.
- Immer noch klammern
sich Menschen an die Illusion, etwas geheimhalten zu können.
Spätestens die Offshore-Leaks haben bewiesen, dass selbst
Multimillionäre nicht dazu imstande sind, von normalen Menschen gar
nicht zu reden. Also noch einmal:
Wir leben in einer Welt
ohne Privatsphäre und totaler Vernetzung! Was eine
deutsche Behörde weiss, das weiss auch die NSA und das weiss Peking,
Hanoi, wer auch immer. Leute, die das nicht lernen wollen, stehen
dann eben verständnislos vor den Auswirkungen, was an der Sache
selbst nichts ändert.
- Noch Schlimmeres
machten junge Crackdealer in den 1990ern durch. Sie hatten an
Fernsehmärchen geglaubt, die suggerierten, mit Drogenhandel könne
man reich werden und bekamen in Wirklichkeit so wenig Geld heraus,
dass ihr Ertrag pro Stunde noch unter dem gesetzlichen Mindestlohn
lag, wobei die meisten von ihnen sich auch noch gegenseitig
erschossen, weil sie glaubten, dadurch mehr Geld verdienen zu können
und die Überlebenden im Gefängnis landeten. Das war der härteste
und gnadenloseste Lernprozess der Erde, denn wer sich keinen anderen
Job suchte, hatte noch Glück, wenn er „nur“ zu einer Haftstrafe
verurteilt wurde.
- Journalisten in einer
Welt, in der niemand mehr für Journalismus bezahlt, was dazu führt,
dass eine Zeitung nach der anderen stirbt, können sich an andere
Jobs gewöhnen oder in Hartz IV gehen.
Generalisiert: Leute, die
sich nicht an Veränderungen anpassen wollen, manövrieren sich damit
in die Armut und als Unternehmer begehen sie ausserdem
Insolvenzverschleppung, schädigen also nicht nur sich selbst,
sondern auch andere.
In Reaktion auf diese und
ähnliche Situationen hört man häufig die Klage „Es wird immer
schlimmer“ oder auch „Man muss sich immer mehr anstrengen“, was
aber ein reiner Selbstbetrug ist. Sehen wir uns Jobs aus der
Vergangenheit an:
- Wenn acht Stunden
Goldgraben am Tag nicht genug Geld einbringen, musst du zehn Stunden
am Tag graben. Wenn die Mine erschöpft ist, kannst du dir entweder
eine neue suchen, eine andere Arbeit aufnehmen oder verhungern.
- Wenn in einer Kultur
vor der Erfindung des Geldes acht Stunden Schneiden von Pfeilspitzen
am Tag nicht genug Essen einbringt, musst du zehn Stunden am Tag
Pfeilspitzen schneiden und wenn sich die Welt so verändert, dass
anstatt Pfeilspitzen Ackerwerkzeuge gefragt sind, kannst du umlernen
oder verhungern.
- Wenn acht Stunden
Holzfällen oder Holzverarbeiten am Tag nicht genug Geld
einbringen...
Das Muster ist wohl
deutlich genug und es gilt ebenso für Feldarbeit, Nähen, Jagen,
Gartenarbeit, für Seilschläger, Schauerleute, Schmiede,
Installateure, Fabrikarbeiter, Taxifahrer, Blogger, Powerseller bei
Ebay etc.
Im Vergleich zu früher
kommen wir dabei noch gut weg, denn vor tausend wie vor zehntausend
Jahren gab es noch nicht einmal Hartz IV, sondern die Leute gingen
sang- und klanglos unter.
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