Sonntag, 4. Mai 2014

Warum wir immer wieder umlernen müssen


Warum wir immer wieder umlernen müssen


Zunächst einige Beispiele aus der modernen Welt:

- „Wandlung“, ein Begriff, den ich 1989 im BWL-Unterricht in der Berufsfachschule kennen lernte und fast sofort wieder vergass. Im Gedächtnis blieb nur das Kunstwort „WaMiNeuScha“ als Kürzel für „Wandlung, Minderung, Neulieferung, Schadenersatz“, was wiederum etwas mit dem BGB oder HGB zu tun hatte, aber was genau, das war auch vergessen.
Jahre später hörte ich zufällig, „Wandlung“ gäbe es nicht mehr, da das betreffende Gesetz neu gefasst worden sei, zu welchem Zweck oder wen betreffend, blieb mir dunkel. Für Leute, die von Berufs wegen mit Vertrags- oder Handelsrecht zu tun haben, vom Handyverkäufer bis zum Universitätsprofessor, ist das jedoch elementar wichtig und sie mussten ihr Wissen auf den aktuellen Stand bringen.

- „Daten“ wurden 1989/90, als wir dieses Wort in der Schule näher betrachteten, nach einer DIN-Regelung definiert, die 1993 aufgehoben wurde, als sich Deutschland der internationalen Norm anschloss. Das Wissen also, das meine Mitschüler und ich damals über diesen Punkt erwarben, ist seither wertlos und wir können von Glück sagen, dass die Wikipedia uns den Unterschied erklärt.

- Gesetze aus der Kaiserzeit und der Weimarer Republik sind heute nicht nur witzig zu lesen, sondern schlicht wertlos und müssen durch andere ersetzt werden, die der modernen Welt angepasst sind – ein langwieriger Prozess, denn was wusste man im Jahr 1890 vom Datenschutz? Vor allem Politiker und Beamte, die auf dem geistigen Niveau von damals stehen geblieben sind, agieren vollkommen hilflos.
In den USA hat man die Sache etwas klüger angefangen und die meisten Gesetze von vornherein mit einem Verfallsdatum versehen, d.h., wenn sie nicht immer wieder ausdrücklich von der Legislative bestätigt werden, treten sie automatisch ausser Kraft. Auch mit diesem Gedanken können sich Europäer nur schwer vertraut machen.

- Technik der Jahre 1980, 1990 oder 2000, an der wir einmal ausgebildet wurden, ist heute nur noch ein Museumsstück. 1990 etwa redeten wir in der Schule über Computer mit Festplattenkapazitäten im Megabyte-Bereich und da erzählte einer meiner Mitschüler, ein Freund von ihm habe zu Hause eine Festplatte mit einem Gigabyte. Wir glotzten ihn an und fragten, was man denn damit anfangen sollte, weil es sich dabei um eine Dimension handelte, die für uns am Rande des Vorstellbaren lag. Nur sieben Jahre später, als Mobiltelefone sich allmählich ausbreiteten, bemerkte die Zeitschrift Konr@d ironisch, „manche Leute fühlen sich einfach nicht wohl, wenn sie nicht mindestens ein Gigabyte Speicher am Leib tragen“, 2002 wurden Telefone mit vier Gigabyte verkauft, die auch noch alle möglichen und unmöglichen Zusatzfunktionen bekamen, stationäre Computer sprengten alle Vorstellungen und es ist kein Ende absehbar. Jedesmal, wenn jemand behauptet „Mehr geht nicht“, kann man darauf wetten, dass er ein Jahr später als Lügner dasteht.

- Das lässt sich noch generalisieren mit der Aussage, dass ausser Lesen, Schreiben und den Grundrechenarten alles Schulwissen der 1980er wertlos geworden ist, weil sich die Welt seither extrem verändert hat. 

- In dem Buch „Deutsches Haus“ aus dem Jahr 2006 schreibt der Autor „Rentner bekommen keine Kredite“ und diesen Sachverhalt hat man über Jahrzehnte als böse verschrien.
Das ist Geschichte, denn es gibt inzwischen ein Grundsatzurteil, nach dem es diskriminierend ist, Alten wegen ihres Alters einen Kredit zu verweigern, mit dem Effekt, dass sich nun auch Rentner hemmungslos verschulden, was wiederum Geldeintreibern, Schuldnerberatern und Insolvenzrichtern eine neue Art von Kunden bescherte, an die sie sich erst gewöhnen mussten.

- Ein oft sehr schmerzhaftes Lernerlebnis haben Leute, die glauben, sich durch eine Privatinsolvenz von Schulden befreien zu können, denn dieser Vorgang bringt von Gesetzes wegen eine Gehaltspfändung mit sich, so dass den Leuten danach weniger zum Leben bleibt als vorher, gar nicht davon zu reden, dass die Privatinsolvenz erst einmal vom Gericht genehmigt sein muss, aber in 80 % der Fälle abgelehnt wird und dass man durch diesen Vorgang seine Kreditwürdigkeit fürs ganze Leben verliert.
Das schreiben die Zeitungen natürlich nicht, sondern verkaufen die Insolvenz als einfachen Fluchtweg, was den Lerneffekt für Leute, die Zeitungen und Fernsehsendern vertrauen, um so schockierender macht.

- Immer noch klammern sich Menschen an die Illusion, etwas geheimhalten zu können. Spätestens die Offshore-Leaks haben bewiesen, dass selbst Multimillionäre nicht dazu imstande sind, von normalen Menschen gar nicht zu reden. Also noch einmal:
Wir leben in einer Welt ohne Privatsphäre und totaler Vernetzung! Was eine deutsche Behörde weiss, das weiss auch die NSA und das weiss Peking, Hanoi, wer auch immer. Leute, die das nicht lernen wollen, stehen dann eben verständnislos vor den Auswirkungen, was an der Sache selbst nichts ändert.

- Noch Schlimmeres machten junge Crackdealer in den 1990ern durch. Sie hatten an Fernsehmärchen geglaubt, die suggerierten, mit Drogenhandel könne man reich werden und bekamen in Wirklichkeit so wenig Geld heraus, dass ihr Ertrag pro Stunde noch unter dem gesetzlichen Mindestlohn lag, wobei die meisten von ihnen sich auch noch gegenseitig erschossen, weil sie glaubten, dadurch mehr Geld verdienen zu können und die Überlebenden im Gefängnis landeten. Das war der härteste und gnadenloseste Lernprozess der Erde, denn wer sich keinen anderen Job suchte, hatte noch Glück, wenn er „nur“ zu einer Haftstrafe verurteilt wurde.

- Journalisten in einer Welt, in der niemand mehr für Journalismus bezahlt, was dazu führt, dass eine Zeitung nach der anderen stirbt, können sich an andere Jobs gewöhnen oder in Hartz IV gehen.
Generalisiert: Leute, die sich nicht an Veränderungen anpassen wollen, manövrieren sich damit in die Armut und als Unternehmer begehen sie ausserdem Insolvenzverschleppung, schädigen also nicht nur sich selbst, sondern auch andere.


In Reaktion auf diese und ähnliche Situationen hört man häufig die Klage „Es wird immer schlimmer“ oder auch „Man muss sich immer mehr anstrengen“, was aber ein reiner Selbstbetrug ist. Sehen wir uns Jobs aus der Vergangenheit an:
- Wenn acht Stunden Goldgraben am Tag nicht genug Geld einbringen, musst du zehn Stunden am Tag graben. Wenn die Mine erschöpft ist, kannst du dir entweder eine neue suchen, eine andere Arbeit aufnehmen oder verhungern.
- Wenn in einer Kultur vor der Erfindung des Geldes acht Stunden Schneiden von Pfeilspitzen am Tag nicht genug Essen einbringt, musst du zehn Stunden am Tag Pfeilspitzen schneiden und wenn sich die Welt so verändert, dass anstatt Pfeilspitzen Ackerwerkzeuge gefragt sind, kannst du umlernen oder verhungern.
- Wenn acht Stunden Holzfällen oder Holzverarbeiten am Tag nicht genug Geld einbringen...

Das Muster ist wohl deutlich genug und es gilt ebenso für Feldarbeit, Nähen, Jagen, Gartenarbeit, für Seilschläger, Schauerleute, Schmiede, Installateure, Fabrikarbeiter, Taxifahrer, Blogger, Powerseller bei Ebay etc.
Im Vergleich zu früher kommen wir dabei noch gut weg, denn vor tausend wie vor zehntausend Jahren gab es noch nicht einmal Hartz IV, sondern die Leute gingen sang- und klanglos unter.



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