Wenn
wir heute von der Zukunft sprechen, ist der Unterschied zur
klassischen Science Fiction wie auch zur Futurologie der 1960er, dass
wir heute die Grösse und Form des Universums kennen, die
Nichtexistenz von Ausseriridschen bewiesen ist usw., dass also
vieles, was früher als "nicht bewiesen, aber immerhin denkbar"
gelten konnte, sich heute erledigt hat.
Vor
diesem Hintergrund ist die Frage, ob sich noch eine Geschichte
erzählen lässt, die mehr ist als die blosse Fortsetzung der
Vergangenheit, vor allem die Frage, ob es denn noch irgend etwas
Unvorhersehbares geben kann, das ein bisschen Dramatik in die Sache
bringt oder ob wir auf ewig zur Langeweile verdammt sind.
Der
nun folgende Text ist ein Versuch dazu, den ich im Dezember 2012
zusammengebastelt und seither schon fast vergessen habe.
Aaalsooo:
*Dramatisches
Atemholen*
2064.
Die
Erde ist tot.
Ein
Gammastrahlenausbruch von nie gekannter Dimension hat das gesamte
Sol-System verwüstet. Alle Orte, die für Leben geeignet waren,
wurden bis in den tiefen Fels hinein sterilisiert und selbst die
Bakterien auf dem Grunde des Ozeans, die alle Asteroideneinschläge
und Eiszeiten überlebten, waren einer solchen Kraft nicht mehr
gewachsen.
Die
Menschheit interessiert das nicht.
Sie
hatte sich seit den 2020ern über ein Gebiet von mehr als 100
Lichtjahren ausgebreitet und ihre neuen Aufenthalte zusätzlich durch
Technik geschützt, so dass die Strahlung, wenn sie überhaupt dort
ankam, keine Gefahr mehr darstellte. Die Cyborgisierung gab uns die
Macht, uns an jede Umgebung anzupassen, wodurch Terraforming, das man
im 20. Jahrhundert für unvermeidlich hielt, nur mehr eine Art Hobby
für einige wenige wurde.
Dies
führte zur Entwicklung verschiedener Zweige der Menschheit, ein
allen gemeinsames Verständnis von „wir Menschen“ existierte
nicht mehr. Manche begrüssten das, manche bedauerten es und die
meisten nahmen es gleichgültig hin. Die Kontakte funktionierten ja
weiter, aufrechterhalten durch wohlwollende KIs von göttlicher
Machtvollkommenheit und wer sich isolieren wollte, der konnte einen
ganzen Planeten, ja ein ganzes Sonnensystem für sich alleine haben.
Kein Kloster, kein irdischer Verbannungsort hatte jemals solche
Einsamkeit geboten.
Trotz
ihrer Macht hatten die KIs sich jedoch nicht zu Diktatoren
aufgeschwungen, denn ohne Gefühle war ihnen auch das menschliche
Machtstreben unbekannt. Sie dienten, weiter nichts und liessen uns
die Freiheit, auch weiterhin menschliche Dummheiten zu machen.
Krieg
zum Beispiel.
Auch
die Kultur war derart ideenlos geworden, dass wir kaum mehr taten,
als die alten Muster immer wieder zu reproduzieren. Das wiederum
funktionierte ironischerweise bei allen Leuten, egal in welchem
Sonnensystem, so lange sie überhaupt noch fähig waren, mit dieser
Art von Kultur oder Unterhaltung etwas anzufangen. Verzeihen Sie mir
also bitte, wenn ich nicht Interkosmo spreche und nicht mit
galaktischen Grüssen dienen kann.
Mein
Name ist Gieg. Klaus Gieg. Ich stamme noch aus der alten Zeit, wurde
1974 in Bad Kreuznach, Rheinland-Pfalz, Deutschland, geboren, in
einer Epoche also, in der der Siegeszug der Roboter, Denkmaschinen
und Computer erst begonnen hatte. Ich darf Ihnen versichern, dass es
ein äusserst zaghafter Beginn war. Als Erwachsener schaute ich
zurück und fühlte mich erschüttert, wie primitiv wir zur Zeit
meiner Kindheit gewesen waren, sowohl in der Technik wie auch im
Denken.
Ebenso
neugierig wie phantasievoll, begrüsste ich den technischen
Fortschritt, den wir von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, dann von Jahr zu
Jahr, schliesslich von Monat zu Monat erlebten. Es lässt sich nicht
an einem bestimmten Datum festmachen, nicht einmal an einem
bestimmten Jahr, ab wann sich alles veränderte, sondern die
Veränderung arbeitete unaufhörlich und in Milliarden winzigen
Schritten, bis man „die Welt nicht mehr wiedererkannte“.
Diese
Formulierung benutzten damals viele Leute. Ich hatte diesen gegenüber
einen Vorteil, weil ich mich ständig mit dem Thema befasste,
Veränderungen nicht nur erwartete, sondern sie ausdrücklich
herbeiwünschte und im Voraus zu berechnen versuchte. In den
folgenden Jahren sollte mir dies buchstäblich das Leben retten.
Nachdem
wir begannen, die Technik gezielt in unsere Körper einzubauen,
entdeckten wir zu unserer freudigen Überraschung, dass wir damit
nicht nur diverse Krankheiten abschaffen konnten, sondern sogar das
Sterben. Von da an war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die
Ewiggestrigen, die glaubten, sich nicht damit beschäftigen zu
müssen, allesamt vom Sensenmann geholt wurden.
Wir
trauerten um einige von ihnen, die ja keine schlechten Menschen
gewesen waren, aber die grosse Masse hatte sich durch ihre fanatische
Ablehnung aller Veränderungen so unbeliebt gemacht, dass man sie
bald ignorierte und daher auch nicht vermisste. Man nannte sie „die
Scrooges“ und viele versuchten, für diese Unglücklichen die Rolle
der wohlwollenden Geister zu spielen, aber das klappte nur in wenigen
Fällen.
Der
Wunsch nach Veränderungen entsprang nicht nur bei mir aus der
Unzufriedenheit mit der Gegenwart und der Hoffnung auf eine bessere
Zukunft. Wir wollten die Veränderungen nicht um ihrer selbst willen,
sondern um einen Idealzustand zu erreichen, den ich selbst mangels
eines besseren Begriffes als das Paradies auf Erden bezeichnete.
Stanislaw Lem hatte es 1964 (im Vorwort zur „summa technologiae“)
noch für unwahrscheinlich gehalten, dass die Menschen jemals
zufrieden sein könnten und keinen weiteren Fortschritt mehr
anstreben würden, aber da kannte er die KIs nicht.
Sie
gaben uns einen solchen Überfluss, dass – wiederum buchstäblich –
nichts mehr zu wünschen übrig blieb. Sattheit wurde zur
Übersättigung und wer mit hundert Jahren alles gesehen und alles
erlebt hatte, der konnte dann wie Laozi oder Simplicissimus dem
ganzen Trubel den Rücken kehren und sich auf einen einsamen Planeten
zurückziehen oder sich eben diesem Trubel um so hemmungsloser
ergeben.
Ich
selbst vereine in meinem neunzig Jahre alten Körper die Weisheit
dieses Alters mit den Fähigkeiten eines Zwanzigjährigen und
verspüre noch keine Lust auf Isolation. Es ist einfach nur schön,
ein solches Leben zu geniessen und in meinem Privatraumschiff durch
die Galaxie zu schippern, denn das bietet Ruhe oder Action ganz nach
Bedarf.
Aufgrund
der erwähnten Zurückhaltung der KIs steht es den Menschen auch
frei, primitiver zu sein, als sie sein müssen, sich bewusst auf
Planeten niederzulassen, auf denen ihr Leben in Gefahr ist und zwar
durch Naturereignisse wie Erdbeben, Sturmfluten und Vulkanausbrüche,
die man absichtlich nicht durch Geoengineering ausgeschaltet hat. Es
wurden sogar Welten mit wilden Tieren aller Art geschaffen, mit denen
die Menschen ringen können.
Das
geht nicht immer gut und viele Leute, die sich selbst überschätzt
haben oder ihre Kinder, die keine Wahl hatten, rufen dann um Hilfe,
die von anderen, die nichts Besseres zu tun haben, bereitwillig
geleistet wird. Es ist also immer noch Platz für Millionen von
Helden und wer nicht nur Studien treibt wie ich, der kann seinen
Kampfgeist voll und ganz ausleben.
Die
Neubesiedelung des Sol-Systems liegt trotz dieses Geistes noch ein
wenig in der Zukunft, denn wir müssen warten, bis die Gammastrahlung
hinreichend abgeklungen ist.
Bewohner
der Erde, ich spreche zu euch aus einer Distanz von nur fünfzig
Jahren, das ist nichts in kosmischen Dimensionen, dazu kommt, dass
die Technik, die unser heutiges Leben ermöglicht, auch zu eurer Zeit
schon bekannt ist, dennoch, so fürchte ich, werdet ihr mir nur wenig
Glauben schenken, wenn euch meine Worte überhaupt erreichen.
Da
kann ich euch nun freilich nicht helfen, es drängt mich nur, diese
Dinge trotzdem zu sagen, mag daraus werden, was will.
*Dramatisches
Ausatmen*
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