Dienstag, 8. August 2017

Die Digitalisierung nach Shakespeare – Erleben und Erleiden des Unkontrollierbaren

Alle Zitate nach der Übersetzung von Dorothea Tieck, frühes 19. Jahrhundert.

Es wird grossen Schriftstellern nachgesagt, dass sie zeitlos wären und uns auch in einer digitalisierten Welt immer noch etwas zu sagen hätten. Wir wollen dies heute an einem Werk Shakespeares betrachten: „Macbeth“.

Ich hielt den Untergang dieses Königs zuerst für ein Beispiel von „information overload“, aber dann wurde mir klar, dass die Sache ein wenig komplexer ist. Also:
Der Protagonist und seine dämonische Lady häufen Mord auf Mord und Verrat auf Verrat, verbreiten „Fake News“, was das Zeug hält, kurzum, sind Gegner, mit denen man sich lieber nicht anlegt – sollte an meinen.
Statt dessen passiert das Gegenteil, was auch immer die Usurpatoren tun, um ihre Macht zu sichern, schafft ihnen immer nur neue Feinde und neue Gefahren. Ihre Fake News wenden sich gegen sie (dritter Akt, sechste Szene); ihr Sturz wird weit weg von ihrem eigenen Machtbereich vorbereitet (vierter Akt, dritte Szene) und selbst wenn sie wollten, könnten sie nichts dagegen unternehmen, weil ihnen sowohl die Kapazitäten fehlen als auch die Kenntnisse, um diese anzuwenden.

Es ist das selbe Muster, welches wir heute sehen, wenn Menschen vor den Herausforderungen der Digitalisierung versagen, so wie beispielsweise den Bushisten unter George W. bis zum Ende ihrer Regierung nicht klar wurde, was sie taten, indem sie die Welt des Digitalen nicht verstehen wollten und dass es die Sache nur noch schlimmer machte, das Netz ausschliesslich als Feind zu betrachten. Die Analysten der CIA schrieben sich die Finger wund, aber im Dunstkreis der damaligen US-Regierung hat man das nicht verstanden, ja nicht einmal hören wollen.
Den Hunden deine Kunst, ich mag sie nicht. –
Legt mir die Rüstung an...
(Fünfter Akt, dritte Szene)

Allmählich aber waren die Fakten doch nicht mehr zu leugnen:
Ist Wahrheit das, was seine Meldung spricht,
So ist kein Fliehn von hier, ist Bleiben nicht.
Das Sonnenlicht will schon verhaßt mir werden;
O fiel in Trümmer jetzt der Bau der Erden!
Auf, läutet Sturm! Wind, blas! Heran, Verderben!
Den Harnisch auf dem Rücken will ich sterben.“
(Fünfter Akt, fünfte Szene)

So haben die Republikaner in der Zeit von 2001 bis 2008 den Weg für den Internetstar Obama bereitet und zusätzlich noch die eigene Partei in die Gefangenschaft eines hoffnungslos Wahnsinnigen geführt – das Schlimmste, was aus ihrer Perspektive passieren konnte. Macbeth' Selbstzweifel könnten ebenso von George W. Bush gesprochen sein:
Mein Haupt empfing die unfruchtbare Krone;
Das dürre Zepter reichten sie der Faust,
Daß eine fremde Hand es mir entwinde,
Kein Sohn von mir es erbe. Ist es so?
Hab ich für Banquos Stamm mein Herz befleckt,
Für sie erwürgt den gnadenreichen Duncan,
In meinen Friedensbecher Gift gegossen
Einzig für sie und mein unsterblich Kleinod
Dem Erzfeind aller Menschen preisgegeben,
Zu krönen sie, zu krönen Banquos Brut!“

Und abermals nimmt er seine Zuflucht zu wahlloser Gewalt:
Eh das geschieht, komm, Schicksal, in die Schranken
Und fordre mich auf Tod und Leben!“
(Dritter Akt, erste Szene)

Die selbe Dummheit begehen die ganz normalen Sterblichen. Ich höre noch, wie viele Deutsche in den 2000ern gesagt haben „Ich muss mich nicht verändern, ich hab' den Betriebsrat gefragt“. Wo ist dieser Betriebsrat heute, wo eure Jobs von damals nicht mehr existieren? Welche Protestveranstaltung hat die Roboter aufgehalten, die euch wegrationalisierten? Ihr habt mit dieser eurer Blindheit nur den Weg freigemacht für das nächste, übernächste und über-übernächste Startup, deren Software wieder einen vom Menschen gemachten Handgriff durch einen Algorithmus ersetzt.
Und wie sich George W. Macbeth an den Krieg klammerte, um sein Scheitern zu vertuschen, so klammert ihr kleinen Macbeth' euch heute an die Hassprediger von der AfD und ihren grossen Bruder Putin, die euch doch nicht retten.


Was sind die Folgen?
Shakespeare lässt seinen Bühnen-Macbeth am Ende köpfen, weil der Schurke ein Ende nach dem Geschmack des Publikums finden muss. Eine Strafe, die weit schrecklicher ist, erlitt George W. Bush in der wirklichen Welt, denn er blieb am Leben und wird noch heute, Jahre nach dem Ende seiner Präsidentschaft, von Gewissensbissen verfolgt. Dieser Mann ist steinreich, aber Seelenfrieden kann er sich nicht kaufen.
Und ihr, ihr Normalsterblichen? Tagtäglich müsst ihr Angst haben, dass ihr in Hartz IV landet, kein einziger Arbeitsplatz ist sicher, keine Firma von heute kann wissen, ob sie in einem Jahr noch existiert. Schaut etwa auf Deutschlands heilige Kuh, die Autoindustrie, wie man dort zittert vor dem Alptraum der Bedeutungslosigkeit, ja des völligen Verschwindens und nichts dagegen tun kann. Die Bedrohung ist real, aber wenn man gegen sie kämpfen will, so unangreifbar wie ein Traumgebilde.
Erscheint dem Aug' und quält den Sinn,
Wie Schatten kommt und fahrt dahin!
(Vierter Akt, erste Szene)

Warum ist das so? Warum diese Parallele über Jahrhunderte hinweg?
Weil die Realitätsverweigerung der Menschen immer die selbe geblieben ist. Wir werden das Opfer unserer eigenen Dummheit, Macbeth, weil er den Hexen glaubt und wir, weil wir den Politikern glauben, die aus Prinzip keine Ahnung haben oder den „Experten“, deren einzige Qualifikation darin besteht, dass sie in den Nachrichten und Talkshows zu sehen sind.

Und nein, ich werde euch jetzt nicht sagen, was ihr glauben sollt, denn ich weiss es selber nicht. Das ist kein Scherz: ich weiss nicht, ob mein Arbeitgeber in einem Jahr noch existiert oder was auch immer sonst geschieht. Nur sehr allgemein lässt sich sagen, dass wir in grösseren Veränderungen stecken als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte und dass ein Denken in den alten Mustern in den Untergang führt.
Wenn es mir damit gelungen sein sollte, euer herkömmliches Denken aufzubrechen und euch die Dinge aus einer anderen Perspektive sehen zu lassen, dann ist das schon alles, was ich mir erhoffen kann. Der Vollständigkeit halber muss noch gesagt, werden, dass selbst dies nicht meine Leistung ist, sondern dass Shakespeare und die Übersetzerin das Beste getan haben und ich nur einige offensichtliche Dinge angesprochen habe.

Alles Weitere liegt bei euch selbst, bei jedem Einzelnen von euch. Deswegen gibt es in diesem Text auch keine Links zu anderen Websites, sondern wenn ihr über einen bestimmten Punkt mehr wissen wollt, dann schaltet eure Gehirne ein und recherchiert selbst.



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