Dienstag, 4. Februar 2014

Dem Informations-Müll entkommen und wirkliches Wissen aufbauen


Wir sind große Toren. ,Er hat sein Leben im Müßiggange hingebracht, sagen wir oder ,ich habe heute nichts getan.Wie, habt ihr nicht gelebt? Das ist nicht nur eure erste, sondern auch eure fürnehmste Pflicht. ,Wenn man mich zu großen Taten gebraucht hätte, so würde ich gezeigt haben, was ich kann.Habt ihr euer Leben recht besorgt und eingerichtet? Dann habt ihr das allergrößte Werk vollbracht.“ – Michel de Montaigne,Essais, 16. Jhdt.

Es sieht so aus, als wären viele Menschen einer solchen Herausforderung nicht gewachsen.Leute, die über den Tod lachen würden, aber in ständiger Angst vor persönlichen Verlegenheiten sind, beschreibt Edgar Wallace das selbe Phänomen inDie vier Gerechten. Und das ist keine Sache vergangener Epochen, sondern es zieht sich bis heute durch die ganze Geschichteebenso wie der umgekehrte Fall, dass Einzelne, die ihr Leben gut organisieren können, als Genie bezeichnet werden und gar nicht verstehen, warum. Auch in Kleinigkeiten ist Wissen gleich Macht.

Wenn nun ältere Leute, die von der modernen Welt wenig bis gar keine Ahnung haben, sagen, in ihrer Generation hätte es eben anderes wichtiges Wissen gegeben, ist meine Reaktion fast nur noch Verachtung und nachdem ich mich mehrmals über solche Leute ärgerte, formulierte ich für sie alle eine universale Antwort:Hören Sie doch mit diesem Unfug auf! Ich habe Schiller und Goethe genauer gelesen als Sie, den Heinrich von Kleist ebenfalls, ich komme mit der Schlüsselmaschine Enigma und den Relaisrechnern von Konrad Zuse besser zurecht als Sie, ich weiss über die Freimaurer und die Thule-Gesellschaft besser Bescheid als Sie, ich bin am MG 42 besser als Sie und an der Acht-Acht genauso! Kommen Sie mir also bloss nicht mit dem Wissen Ihrer Generation, denn darin schlage ich Sie um Längen! Setzen Sie sich lieber auf den Hosenboden und lernen Sie etwas über die Welt von heute.

Noch wütender machen mich jene, die vor dreissig Jahren gesagt haben, über Computer bräuchte man nichts zu wissen, Biotechnik sei nur Science Fiction und China, mein Gott, was bedeute schon China?
Heute jammern die selben Leute über die moderne Welt, in der sie sich nicht mehr zurechtfinden. Es ist ihnen unbegreiflich, wie es zugeht, dass chinesische Investoren einen deutschen Mittelständler vor dem Bankrott retten, ihre eigenen Enkel am Computer Textvergleiche zwischen verschiedenen Karl-May-Ausgaben anstellen, dass man mittels Investitionen von nur tausend Euro das eigene Erbgut in der Küche analysieren kann usw. usf.

Andere Leute dieses Schlages kaufen technische Geräte, von denen sie nichts verstehen, verrennen sich hoffnungslos beim Herumfummeln damit und beschweren sich dann auch noch. Keiner von ihnen kommt auf die Idee, sich vor dem Kauf klar zu machen, womit sie es zu tun haben und dann vielleicht sogar die Finger davon zu lassen.
Oder: Sie gehen wegen ihrer eigenen Ignoranz bankrott und kommen danach auf den Trichter, etwas über Finanzen zu lernen. Leute, ihr hättet vor dreissig Jahren über Geld nachdenken sollen und nicht erst dann, wenn ihr euch schon ruiniert habt. 

Auspeitschen sollte man sie alle! Sich erst Jahre und Jahrzehnte der Realität verweigern und dann behauptendas hat mir doch nie einer gesagt“ – ein solches Verhalten ist unverschämt.

Ausserdem führt es zu einem Effekt, den Immanuel Kant schon vor über zweihundert Jahren formulierte:Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann, andere werden das verdriessliche Geschäft schon für mich übernehmen.“ 
Denn sie zahlen, diese Nichtdenker, zahlen von den Telefonkosten einer Hotline bis zur Anwaltsrechnung und jeder Menge verlorener Zeit unzählige Male für nichts. Auf den ersten Blick erscheint das "nur" als eine Unbequemlichkeit, mit der sie nun halt leben müssen, langfristig jedoch geraten sie damit in Armut und Elend, bis sie sich irgendwann keine Anwälte mehr leisten können, keine Mitgliedsbeiträge für eine Partei und am Ende nicht einmal mehr ein Telefon.

Mit alledem ist noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Im Januar 2014 meldeten die Nachrichten, dass ein Botnetz aufgedeckt worden sei, welches nicht nur Computer gekapert hätte, sondern auch internetfähige Kühlschränke. Nun ist der Internet-Kühlschrank eines der nutzlosesten Dinge der Welt, aber offenbar war er nicht aufzuhalten, weil einige Leute es so wollten und gleichzeitig so dumm waren, ihn nicht vernünftig abzusichern, während die Kunden überhaupt nicht wussten, was sie da kauftenwo kämen wir denn auch hin, wenn man beim Geld Ausgeben erst noch denken müsste?
Den Ewiggestrigen steht damit der nächste Schreck bevor, wenn sie sich nicht einmal in ihrer eigenen Wohnung vor solchen Dingen sicher fühlen können, generell, wenn ihnen ihre Umgebung in den nächsten Jahren sonderbarbelebtvorkommt, es ist schon vorhersagbar, dass sie wieder nur jammern werdenund die Entwicklung geht gnadenlos weiter.
Weniger dumme Leute könnten z.B. eine Geschäftsidee daraus machen, Kühlschränke zu fertigen, diegarantiert keinen Internetanschlusshaben.

Soweit also die Situation. Lässt sie sich verbessern? Lässt sich wenigstens an einigen Punkten Licht in dieses geistige Dunkel bringen? Und wo soll man anfangen?

Die Autoren des BuchesGeneration Doofwünschten sich z.B. das Wissen darüber,wie man bei Gericht Klage einreicht, ohne gleich horrende Anwaltshonorare zahlen zu müssenund das scheint ein weit verbreitetes Bedürfnis zu sein.
Meine spontane Antwort „Wie wäre es, wenn du die Zivilprozessordnung lesen würdest? Da steht so was drin“, ist für die Fragenden fast nutzlos, denn man muss zuerst in ihre Köpfe bringen, dass die ZPO und alle anderen Gesetze öffentlich zugänglich sind und daher jeder beliebige Mensch, egal ob Anwalt oder nicht, nachsehen kann, welche Art Gericht wofür zuständig ist oder welchen anderen Punkt auch immer, sofern es nur generell eine Sache ist, die von irgend einem Gesetz erfasst wird.

Zu diesem Zweck kann man heute nach Wahl in die Buchhandlung gehen, um das betreffende Gesetz als Druckwerk zu erwerben oder online die Seite „gesetze-im-internet.de“ besuchen, auf beiden Wegen Informationen beschaffen, ohne auch nur einen Menschen merken zu lassen, dass man etwas nicht weiss und sich dann in aller Ruhe einlesen. Die Wikipedia liefert darüber hinaus lexikalische Information und natürlich ist das Internet auch sonst voll mit Daten zu allem und jedem. Der Vollständigkeit halber sei noch hinzugefügt, dass man sich mit dem Kauf von gedruckten Büchern beeilen sollte, denn in einigen Jahren verschwinden nicht nur stationäre Buchhandlungen, sondern auch papierene Druckwerke.

Hat man die Daten, so stellt sich die nächste Herausforderung, nämlich sie richtig zu ordnen und das Passende herauszufiltern. Das ist eine Frage, von der ganze Berge an Ratgeber-Literatur leben, während sie ebenso gut von der allgemeinen Bildung erledigt werden könnte.

Wo gibt es denn heutzutage noch Bildung?, ist dann der stetig gestöhnte und geseufzte Satz, der einer gewissen Berechtigung nicht entbehrt. Seit 1914 haben die Völker Europas ihre in Jahrhunderten mühsam aufgebaute Kultur, in der Bildung noch geschätzt wurde, in Trümmer gelegt und die kläglichen Überreste sind es, die wir heute bewundern, weil wir uns das Ganze schon nicht mehr vorstellen können.
Allerdings musste man sich Bildung auch früher schon selbst erarbeiten und daran hat sich bis heute nichts geändert. Das geht langsam, mühselig, bringt keinen Ruhm und keinen anderen Lohn als die Freude an der Sache. Erst danach kann man auf einen praktischen Nutzen hoffen, wenn man nämlich gelernt hat, Information richtig einzuordnen und ihren jeweiligen relativen Wert zu begreifen.
Beispiel: Ich habe Goethes „Faust“ gelesen, weil das zur Bildungsbürgerpflicht gehört und verstehe nun weniger als vorher, was daran so wichtig sein soll. Der zweite, dritte und vierte Akt im zweiten Teil erscheinen mir sogar als völlig unnützes Geschwafel, das weder die Handlung voran bringt noch für sich genommen interessant ist. Um aber zu diesem Ergebnis zu kommen, muss man erst das ganze Ding lesen und dazu kommt noch, dass es nur mein subjektiver Eindruck ist – wer weiss, ob nicht anderen Leuten eben diese Passagen am besten gefallen?
Der Lerneffekt des Stückes selbst ist also begrenzt, man kann aber auch weiterdenken und daraus lernen, wie Goethe die Welt um das Jahr 1800 herum gesehen hat und wie sich diese Welt von der heutigen unterscheidet, etwa, indem wir Dr. Faust nur ein modernes Buch wie „Grundlagen der Geologie“ von den Professoren Bahlburg und Breitkreuz überreichen müssten, um seinen Wissensdurst – „dass ich erkenne, was die Welt / im Innersten zusammenhält“ – vollständig zu befriedigen und ein Pakt mit dem Teufel daher unnötig ist. Ich weiss das mit Sicherheit, denn ich habe dieses Buch aus persönlicher Neugierde gekauft und gelesen. Wohlgemerkt, ich bin kein Geologe und habe auch nicht die Absicht, es zu werden, sondern es ging mir nur um einige offene Fragen und dann bekam ich nicht nur Antworten darauf, sondern auch noch zusätzliche Informationen, die mir später in anderem Zusammenhang nützlich waren.
Wissenschaftliche Werke gehören nicht zum klassischen Bildungskanon, sondern sind nötig, weil sie im menschlichen Wissen das andere Ende des Spektrums darstellen, Kultur durch Fakten ergänzen.

Hat man endlich das nötige Wissen in auch nur einer Sache und kann es passend anwenden, erntet man Respekt. Passiert das öfter, kommt man an einen Punkt, an dem andere Menschen einen zum Genie erklären. Lassen Sie sich davon nicht den Kopf verdrehen! Ruhm ist eine schreckliche Droge und schon Marc Aurel, den wir noch heute für seine Weisheit bewundern, hat davor gewarnt:Hüte dich, dass du nicht verkaiserst.

So far, so good. Aber was ist mit Leuten, die sich weder für Goethe noch für Geologie interessieren? Die haben dann gelitten, oder?
Nein, haben sie nicht, denn man kann auch von einem anderen Punkt aus starten und das selbe Ziel erreichen. Auch dazu ein Beispiel: Ich befasse mich seit einiger Zeit mit den strategischen Absichten der chinesischen Regierung und ihrer praktischen Umsetzung, ein ausserordentlich fesselndes Thema. Begonnen habe ich vor dreissig Jahren ganz primitiv mit einem Interesse an Kung-Fu-Filmen und dann leitete mich das Wort „China“ als Oberbegriff auch zu anderen Dingen, vielseitiger und interessanter, als ich es mir je hätte vorstellen können.
Sie können genauso mit Sport anfangen, mit der Geschichte und Tradition des russischen Balletts, mit Bildbearbeitung am Computer, mit Holzverarbeitung im Odenwald oder was auch immer, wenn Sie nur Wissen aufnehmen und damit Ihr Denken erweitern – denn wenn Sie das erst einmal können, fällt Ihnen auch das Lernen in anderen Bereichen leichter als vorher. Alles zusammen ist dann Ihre persönliche Bildung und Sie werden selbst erleben: Wissen ist Macht.  

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