Sonntag, 1. März 2015

Putin ist nicht Russland


Wir im Westen starren auf Putin wie das Kaninchen auf die Schlange und reden uns immer wieder ein, er sei mächtig und wichtig und wer weiss was sonst noch.

In Wirklichkeit ist das nur Zeitverschwendung. Die Frage braucht nicht zu lautenWas macht Putin?, denn er macht nichts anderes als alle anderen Tyrannen auch, sondern wir müssen fragenWas macht Russland nach Putin?
Niemand herrscht ewig, auch Tyrannen sterben, wenn nichts anderes dafür verantwortlich ist, eines natürlichen Todes und die russische Geschichte ist voll von entsprechenden Beispielen, Iwan der Schreckliche, Stalin, Chruschtschow, Breschnew, Tschernenko fallen mir spontan ein.

Was kommt also nach Wladimir Wladimirowitsch P.? Wird aus dem postputinistischen Bürgerkrieg eine Demokratie hervorgehen oder nur ein weiterer Unterdrücker? Die Russen haben ein Recht auf Demokratie wie jedes andere Land und der an dieser Stelle in der Politik unweigerlich folgende Hinweis aufrussische Besonderheitenist Quatsch, denn auch Russen sind Menschen.
Die Besonderheit liegt eher darin, dass es 1989/90 in den meisten Ländern Osteuropas keinen Bürgerkrieg gegeben hat, sondern die Tyrannei weitgehend zivilisiert entsorgt wurde und der Balkan die schreckliche Ausnahme bildete. Es wäre leichtsinnig, darauf zu hoffen, dass dies immer funktioniert, sondern wir müssen uns auf das schlimmstmögliche Szenario gefasst machen und wenn es dann nicht eintritt, um so besser.

Auf die Intellektuellen kann man sich dabei nicht verlassen, denn diese Leute sagen Dinge wieDas hätte nie passieren dürfenund die Wirklichkeit antwortetHätte, hätte, Ankerkette. Ein Schuss aus der Kalaschnikow ist ein Schuss aus der Kalaschnikow und wenn dir diese Kugel das Hirn aus dem Kopf reisst, hast du nichts davon, wenn ein anderer hinterher sagtWenn dieses arme Schwein sich doch nur rechtzeitig geduckt hätte...,Wenn man den Todesschützen doch nur rechtzeitig resozialisiert hätte...usw. usf., sondern du bleibst tot.
Lady Asquith, Gattin eines ehemaligen britischen Premierministers, schrieb 1918, als der Erste Weltkrieg sich dem Ende näherte:Erst jetzt wird man sich darüber klar werden, dass die Toten nicht nur für die Dauer des Krieges tot sind“ (zitiert nach John Keegan, „Die Kultur des Krieges“). Das ist schon realistischer und eine solche Erkenntnis steht nun wieder bevor. Fragen Sie sich selbst, ob es Sinn macht, sich in die Tasche zu lügen und hinterher zu sagen, dass hätten Sie nicht gewusst.

Was also werden wir erleben?
- Der Bürgerkrieg in Russland, geführt von folgenden Gruppierungen:
a) Die Putinisten, die auch nach dem Tod ihres Idols wieder an die Macht wollen, vergleichbar mit den Resten von Saddams Baath-Partei im Irak, die erst mehrere Jahre nach der US-Invasion vernichtet waren.
b) Andere Radikale, die sich nicht auf Putin berufen und genauso böse sind.
c) Komplett Wahnsinnige, die kein politisches Ziel haben, sondern alles und jeden tot sehen wollen.
d) Diverse nichtrussische Gruppierungen, die mit Mütterchen Russland noch offene Rechnungen aus den letzten paar Jahrhunderten zu begleichen haben.
e) Söldner.
f) Die Guten, d.h., Leute, die denken, dass es allmählich doch Zeit wird für die Demokratie und die deswegen von allen anderen angefeindet werden.
g) Diverse Versuche der CIA und des chinesischen Ministeriums für Staatssicherheit – Zweites Büro – Einzelpersonen oder Gruppierungen zu beeinflussen.

- Die Rolle Chinas. Putin hat im Mai 2014 die gesamte russische Wirtschaft an China verkauft und China ist natürlich daran interessiert, diesen Besitz zu verteidigen. Also bereitet es sich auf die Zeit nach Putin vor, d.h., hält potenzielle neue Machthaber unter Beobachtung und baut Verbindungen auf, um sicherzustellen, dass ein bequemer Kandidat an die Macht kommt.
- Die Rolle des organisierten Verbrechens: 1942/43 kooperierten die USA mit der sizilianischen Mafia, um die Nazis auf italienischem Boden zu bekämpfen, in gleicher Weise wird China inoffiziell mit der russischen Mafia zusammenarbeiten, weil man ein gemeinsames Interesse hat: Profit. Das Ziel ist es, den Bürgerkrieg zumindest zu dämpfen und gegenüber den total unfähigen politischen Parteien verspricht die Mafia ohnehin mehr Stabilität.
Das ist kein Scherz: Dasorganisierte Verbrechenhat seinen Namen nicht umsonst, sondern bietet eben das, eine feste Organisation und das ist ein zeitloser Wert. In der Antike war das Militär der Stabilitätsfaktor, in Spätantike und Mitelalter die Religion, als diese nicht mehr überzeugte, kamen politische Parteien auf und in unserer Zeit wurden diese durch rein profitorientierte Organisationen ersetzt.
Dem entgegenwirken könnte noch die alte Tatsache, dass Blut dicker ist als Wasser, dass also ethnische Spaltungen innerhalb der „krasnaja mafija“ die ursprüngliche Absicht des Profitmachens kontern, was schnell in Gewalt eskaliert – eine Tragödie für sich.

- Kämpfe im Kaukasus, wenn die bisher von Russland unterdrückten Völker Morgenluft wittern, damit kommen türkische und iranische Interessen ins Spiel, für Ruhe an ihren Nordgrenzen zu sorgen, was zu einer widerstrebenden Kooperation zwischen Ankara und Teheran führt (also eine Wiederholung dessen, was Byzantiner und Sassaniden im 4. bis 6. Jahrhundert getan haben), die von den USA stillschweigend gutgeheissen wird.
China, das die iranische Wirtschaft von sich abhängig gemacht hat, wird ohnehin nichts dagegen haben und bei dieser Gelegenheit kann man erkennen, wie gut China vorausplant: Im Norden die Übernahme der russischen Wirtschaft, von Süden her die Übernahme der iranischendas sieht aus wie eine klassische Zangenoperation, die nicht mit Panzern durchgeführt wurde, sondern mit Renmimbi und fast nebenbei wurde damit auch Chinas potenzieller Rivale Indien eingekreist, insgesamt also ein geostrategisches Meisterwerk und Beijing wird die Vorteile dieser Position ausnutzen. Ich verbeuge mich vor Harro von Senger, der in seinem Buch „Supraplanung“ auf diese Art des Denkens aufmerksam gemacht hat.

- Spätestens jetzt wird man mir vorwerfen, ich hätte die russischen Atomwaffen vergessen, die wären doch eine schreckliche Gefahr...
Sind sie nicht. Vergessen Sie das dumme Gequassel der deutschen Medien, denn China und die USA sind sich stillschweigend einig, dass die russischen Atomwaffen unter Kontrolle gehalten werden müssen, also werden sie unter Kontrolle gehalten, Thema erledigt.

- Die Folgen in Russland. Wenn die Gemetzel etwas abgeflaut sind, bildet sich eineoffizielle, d.h., vom Westen anerkannte Regierung heraus, die dann auch westliche Unterstützung bekommt, unter anderem deutscheWiederaufbauhilfeohne Maß und Ziel. Gleichzeitig werden Unruhen, die von diversen Radikalen geschürt werden, noch längere Zeit anhalten.

- Die Folgen im Rest der Welt sind relativ gering, denn Russlands Bedeutung ist zu klein (die russischen Exporte betragen laut Wikipedia nur zwei Prozent des Welthandels), um über Einzelschicksale hinaus Veränderungen zu bewirken. Ein tragisches Ergebnis ist allerdings vorhersehbar: Auch in fünfzig Jahren werden Menschen noch unter den Traumata leiden, die sie sich in den 2010ern eingefangen haben. So etwas kann man nicht abschliessen wie eine alte Akte und dann vergessen, sondern es bleibt für immer im Kopf.

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