Sonntag, 31. Mai 2015

Eine weitere Quittung für Deutschlands Blindheit

Herzlichen Glückwunsch, du mein verschlafenes Heimatland. Gerade eben hat China beim Eisenbahnbau die Rolle des Gastes in die des Gastgebers umgekehrt (Strategem Nr. 30), siehe den nachfolgenden Artikel: http://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/siemens-eisenbahngeschaefte-mit-china-a-1036216.html

Im letzten Absatz ruft der Verfasser mit Recht "Deutschland aufgewacht!", aber vergeblich, wir werden weiter pennen und höchstens nach dem Aufwachen jammern.
Lernen wir denn wirklich nichts? Sind wir so heruntergekommen, dass wir die Entwicklung nicht verstehen wollen? Uns ums Verrecken nicht an die Realität anpassen wollen?

Welche Realität? 
Um es zum x-ten Male zu sagen: Gegen China ist nichts zu erreichen, mit China vielleicht und wir sollten uns auch über unseren zukünftigen Platz keine Illusionen machen, sondern wenn wir gweilos überleben, dann nur als Juniorpartner.
Das zu lernen, wäre ein Anfang.

Sonntag, 24. Mai 2015

Putins "Superwaffen" existieren nicht

Anlässlich der russischen Militärparade am 9. Mai 2015 konnten sich deutsche Medien gar nicht genug tun mit ihren Märchen von russischer Stärke und angeblichen "Superwaffen", die an jenem Tag in Moskau gezeigt würden.

Die Wirklichkeit ist wesentlich nüchterner, der grösste Teil der Parade wurde von Infanteristen bestritten, die man in Uniformen des Zweiten Weltkrieges gesteckt hatte und die Waffen von damals zur Schau trugen, nämlich das Mosin-Nagant 91/30, ein Repetiergewehr und die PPS 41 (= Pistolet Pulemjet Schpagin 1941), eine Maschinenpistole. (Nachtrag: wohlgemerkt, nichts gegen diese Waffen an sich, sie sind hervorragende Konstruktionen und der Punkt ist, dass sie im 21. Jahrhundert so überholt sind wie es eine hervorragend erhaltene Luntenschlossmuskete des 16. Jahrhunderts ist, denn es gibt inzwischen schlagkräftigere Infanteriewaffen.)
Dann war da ein Trupp Kosaken, die mit blankgezogener Waffe vorbeiparadierten und wen bitte will man im Zeitalter der Weltraumdrohnen mit einem Säbel beeindrucken? Die Antwort ist nur allzu klar: Die Deutschen, die das Festhängen in der Vergangenheit zum Prinzip erhoben haben.

An Fahrzeugen gab es zuerst Panzer vom T-34/85 und Selbstfahrlafetten SU-85, wobei sich die deutsche Journaille nicht entblödet, auch die letzteren als Panzer zu bezeichnen und beide Modelle stammen ebenfalls aus dem Museum.

Auffällig schweigsam dagegen verhielt man sich bei modernem Gerät, abgesehen von ein paar hohlen Phrasen zum Kampfpanzer T-14, der die einzige Neuheit darstellte und der Grund ist, dass nur sehr wenig Modernes zu sehen war.
Das ist auch das Interessante an der ganzen Veranstaltung: kein einziges neues Flugzeug, bemerkenswert wenige FlaRak-Systeme S-400, die schon seit acht Jahren im Dienst stehen usw. Der Tag zeigte also insgesamt nicht etwa russische Stärke, sondern Schwäche, die durch pompöses Getue verdeckt werden sollte.

Samstag, 16. Mai 2015

Eine aktuelle Anwendung der 36 Strategeme


Nachdem die entsprechende Meldung aus den Medien verschwunden ist und man mir also nicht mehr vorwerfen kann, ich wollte mich an ein aktuelles Ereignis anhängen, betrachten wir heute, wie eine alte strategische Weisheit, im chinesischen Original „ji“, gebräuchlichste deutsche Übersetzung „Strategem“, in der Praxis aussieht.

Im April 2014 wurde gemeldet, dass China auf den Spratly-Inseln, um deren Besitz schon eine Weile gestritten wird, nicht nur künstliche Erweiterungen der Inseln anlegt, sondern auch ein Flugfeld errichtet (http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/china-baut-landebahn-auf-kuenstlicher-insel-fiery-cross-reef-a-1029278.html). Dies ist eine Anwendung von Strategem Nummer 5 „Ein Feuer für einen Raub ausnutzen“.
Das Feuer brennt in diesem Fall im Nahen Osten, wo die Welt auf den Terror der IS und der jemenitischen Huthi starrt und alles andere darüber vergisst, bedeutsamer ist noch, dass auch starke US-Überwachungs- und Militärkapazitäten dort gebunden sind (die Europäer kann man ohnehin ignorieren).
Diese Gelegenheit wird von China genutzt, um auf den Spratlys Fakten zu schaffen, denn wenn der Stützpunkt erst einmal da ist, wird man ihn so schnell nicht wegbomben und die chinesische Präsenz ist dauerhaft gestärkt.


Sonntag, 3. Mai 2015

Leben 2020 - Teil 5

Der folgende Text steht unter Creative Commons License C C 0 (c c zero) und ist damit
public domain.
Alle Szenarien basieren auf Technik, die bereits existiert.


Sonntag
0400 Nach einigen Stunden Schlaf, auch das in der Schwerelosigkeit und damit eine neue Erfahrung für mich, geht es weiter. Während meiner Ruhephase hat Maria entdeckt, dass ein Samurai der Wyrmberges im Habitat anwesend ist. Sie nutzte die Gelegenheit und forderte ihn in meinem Namen heraus. Ein Sieg erstreitet mir das Recht, mich mit meinem Anliegen direkt an die Familie zu wenden, verliere ich jedoch, muss ich erneut gegen untergeordnete Personen antreten. Damit soll gewährleistet sein, dass (O-Ton Onkel Herbie) „nur Leute von Format“ bis zu ihm selbst vordringen.
Der Samurai hat nun das Recht, Informationen über mich einzuholen und die Herausforderung abzulehnen, wenn er zu dem Schluss kommt, dass ich kein würdiger Gegner bin. Das soll verhindern, dass er sein Gesicht verliert, indem er sich auf einen Kampf mit einem Proleten einlässt, aber es ist keineswegs eine bequeme Methode, sich vor jeder Gefahr zu drücken, denn wenn der Herausforderer nach den Prinzipien des Bushido eine ehrenhafte Person ist und der Geforderte lehnt ohne guten Grund ab, ist der Gesichtsverlust noch grösser.

Nun wissen wir ja, wie die modernen Samurai denken. Wenn sie nicht mindestens Daimyo sind, können sie es sich nicht leisten, einen Gegner abzulehnen, der bisher dreizehn dokumentierte Kämpfe gewonnen hat (= Herausforderung) und ausserdem im Namen einer unerfüllten Liebe antritt (= Romantik). Schwert und Kirschblüte sind hier gleichermassen bedient.

0424 Der Samurai nimmt tatsächlich an und in gewisser Weise habe ich damit bereits gewonnen. In dem Augenblick, in dem ein Angehöriger des Adels entschied, dass ich, ein Bürgerlicher, als würdiger Herausforderer gelte, hebt das mein Ansehen enorm. Selbst wenn er mich nun tötet, was er wahrscheinlich versuchen wird, da bei einem Kampf mit scharfen Klingen keine Grenzen gelten, bin ich der Sieger und wenn ich mich gut halte, egal wie es letzten Endes ausgeht, wird man
vielleicht sogar ein Gedicht über mich verfassen.
Wenn ich gewinne, was ich im Interesse meines Klienten tun sollte, werde ich den Gegner möglichst überhaupt nicht verletzen. Sunzi sagt, die beste Strategie ist es, so zu handeln, „dass zumindest der Tag ohne einen Tropfen vergossenen Blutes gewonnen wird“ und die Weisheit dieser Worte gilt heute noch wie vor 2'500 Jahren.

Wir begegnen uns in einem Raum, der mit einigen Säulen und Haltestangen ausgestattet, aber ansonsten völlig leer ist. Ausserdem scheint mit der Optik etwas nicht zu stimmen, denn die Kanten sind weder abgerundet noch rechteckig. Sie scheinen vielmehr aus Tetraedern und Oktaedern zusammengesetzt – hoppla, das kenne ich doch?
Klar: M.C. Escher, der bis heute ungeschlagene Meister der grafischen Paradoxa, schuf 1959 die Lithografie „Flat worms“ („Plattwürmer“), in der er einen solchen Raum darstellte. Eine wahrhaft würdige Hommage an einen grossen Künstler!

Mein Gegner kämpft gut, aber seine Absicht, mich umzubringen, steht ihm im Weg. Ich bin meinerseits gut genug, um ihn nicht zu einem tödlichen Schlag kommen zu lassen und das frustriert ihn allmählich, bis er anfängt, Fehler zu machen. Bevor er noch dazu kommt, diese Fehler zu analysieren und seine Taktik anzupassen, nutze ich einen Moment der Schwäche aus und führe einen Hieb aus der „nachsetzenden Abwehr“. Mein Katana trifft ihn zwischen Hals und Schulter, durchdringt die Kleidung und verharrt so dicht über der Haut, dass ich über die Klinge das Pulsieren
seines Blutes spüren kann. Hätte ich mit Tötungsabsicht zugeschlagen, würde ich ihn jetzt von der linken Schulter bis zur rechten Hüfte in zwei Teile spalten.
Er ist besiegt und er weiss es. Einen Augenblick starrt er mich mit einer Mischung aus Staunen und Zorn an, dann gewinnt seine Selbstbeherrschung wieder die Oberhand. Wir weichen beide zurück, stecken die Schwerter ein und verbeugen uns voreinander.

Anschliessend besteht er darauf, Maria und mich im Normalschwerkraftbereich des Habitats zum Frühstück einzuladen. Dabei fragt er mich detailliert über meine Taktik und meine weiteren Absichten aus und ich gebe ihm gerne Auskunft, da ich auf diese Weise dafür sorge, dass sein Clan alles aus erster Hand erfährt.

Die KI des Habitats verzeichnet acht Prozent Einschaltquote während der Live-Übertragung des Kampfes und 155'643 Views der Aufzeichnung innerhalb der ersten Stunde danach. Nicht übel für einen Amateur.

0632 Um eure beiden nächsten Fragen mit einem Satz zu beantworten: Ja, wir probieren auch Sex in der Schwerelosigkeit aus, bevor wir wieder nach Hause fliegen und nein, er lässt sich nicht in wenigen Worten beschreiben.

0900 Rückflug zur Erde und anschliessend Rückfahrt nach Mitteleuropa.
Dabei erreicht mich ein Anruf von Melbar. Er ist hellauf begeistert von dem, was ich bisher getan habe und bedrängt mich nun, wann er seine Angebetete sehen darf.
Ich muss lachen und erkläre ihm dann, dass es noch lange nicht soweit ist. Mit meinem Sieg über den Samurai steige ich zwar in der Achtung der Wyrmberges, aber es kann noch Tage dauern, bis sie in ihrem überfüllten Terminkalender ein Plätzchen für uns finden.
Melbar beisst sich auf die Lippen und verflucht die „Scheiss-Rituale“ der feinen Gesellschaft. Ich empfehle ihm, einige Geduldsübungen zu absolvieren oder, wenn er seine nervöse Energie abreagieren will, selbst etwas Kampftraining zu betreiben. Das soll ihn vor allem daran hindern, eine Dummheit zu begehen, die uns die Arbeit erschweren würde.
Da schaltet sich Maria ein und verordnet ihm einen Kurs über Stil und Etikette, denn mit Flüchen, auch wenn sie eine befreiende Wirkung haben, wird er bei den feinen Leuten, die er überzeugen muss, nicht weit kommen.

Ich liebe diese Frau. Ihre Idee ist genial einfach, trifft einen wunden Punkt und wird unseren jungen Romeo wieder für eine Weile beschäftigen.

2341 Heimkehr.
Paulchen empfängt uns mit einer Überraschung: In den letzten achtzehn Stunden, das heisst, seit meinem Kampf mit dem Samurai, sind 148 Einladungen zu Partys und Soirées, 72 Interviewanfragen und 7840 Fanmails eingetroffen, ausserdem 12682 Hassmails, die mich als „unverschämten Lümmel“, „bürgerlichen Emporkömmling“ und ähnliches beschimpfen.
Paulchen erklärt mir, dass er alle Leute bis zu meiner Rückkehr vertröstet hat, weil ich keine Anweisungen für einen solchen Fall hinterlassen hätte. Dabei schaut er mich an – nun, er sieht nicht menschlich aus. Im Gegensatz zu Maria kann man ihm auf den ersten Blick ansehen, dass er ein Roboter ist und sein glattes Metallgesicht hat gar keine entsprechenden Muskeln, fragt also nicht, wie er es macht, aber er bringt es fertig, mich vorwurfsvoll anzusehen.

Mist! Daran hatte ich überhaupt nicht gedacht!
Dann empfangen meine Ohren noch ein anderes akustisches Signal. Als ich dessen Ursprung lokalisiert habe, will ich es zunächst nicht glauben: Maria kichert!
Als ich sie verblüfft anstarre, wird ihr Kichern lauter.
„Sie wollen dich, Champ. Du bist jetzt ein Star“, erklärt sie lachend.
„Du hast es gewusst“, ist alles, was mir dazu einfällt.
„Nein. Hellsehen gehört nicht zu meiner Programmierung. Aber ich bin eine KI und zu den Fähigkeiten von Intelligenzwesen gehört es auch, aus beobachteten Fakten Schlüsse auf potenzielle Entwicklungen zu ziehen. Konzentriere dieses Talent auf das aus der Psychologie bekannte menschliche Bedürfnis nach Helden und die Wahrscheinlichkeit bestimmter Ereignisse steigt signifikant an.“

Damit lässt sie mich eine Dosis meiner eigenen Medizin kosten: oberschlaues Dozieren von allgemein bekannten Tatsachen.
Denn natürlich hat sie recht. Wenn ich mich nicht zu sehr auf die Arbeit konzentriert hätte, dann hätte ich mir auch selbst ausrechnen können, dass etwas in dieser Art passiert.
Einstweilen kann ich nicht anders, als in ihr Lachen einzustimmen und sie dann zu küssen. Ausgiebig.

Dabei beginne ich zu überlegen, wie mir diese Entwicklung bei meiner Arbeit helfen könnte. Was davon lässt sich benutzen, um an Herbert Wyrmberge heranzukommen und was hebe ich mir für später auf, wenn der Fall abgeschlossen ist?
Marias Neuronale Netze haben die beste mögliche Antwort wahrscheinlich schon berechnet, aber sie hält sich zurück, weil sie weiss, dass es mir wichtig ist, selbst eine Lösung zu finden.
Nur eine Sache ist sofort klar: auf keinen Fall darf ich mir von meiner plötzlichen Berühmtheit den Kopf verdrehen lassen, denn sonst könnte es ein unangenehmes Erwachen geben. Ohne dass ich gross nachdenken muss, steht mir das Schicksal von Gaius Julius Cäsar als mahnendes Beispiel vor Augen und dazu doziert Mark Aurel: „Hüte dich, dass du nicht verkaiserst!“

2345 Wir gehen die Post im einzelnen durch. Maria kümmert sich um die Fan- und ich um die Hassmails. Sie sucht dabei nach Hinweisen, ob die Absender gefährlich werden könnten, wenn sie keine Antwort erhalten und ich analysiere, ob die Leute, die mich beschimpfen, es eventuell ernst meinen und sich nicht auf Worte beschränken könnten.
Beide Male ist das Ergebnis negativ, auch bei den 118 Heiratsanträgen, die zu den Fanmails gehören. Folglich verpasse ich dem ganzen Kram die Einstufung „Spam“ und gebe ihn an den Schreibtisch zurück. Ab sofort wird er Post beider Arten automatisch zurückweisen.

Die Interviewanfragen lassen wir erst einmal schmoren – sagen wir, 48 Stunden. Dann kann Paulchen sie beantworten und gegebenenfalls Termine vereinbaren. Nach meiner Erfahrung hat sich der grösste Teil bis dahin von selbst erledigt, weil immer wieder neue Sensationen auftauchen, mit denen ich nichts zu tun habe.

Mit den Einladungen ist es etwas diffiziler. Wir können sie nicht alle wahrnehmen und ich mag es nicht, Avatare zu benutzen. Also muss ausgewählt werden und zwar vorsichtig, denn eine Ablehnung birgt gewisse Risiken:
Erstens, es könnte sein, dass dadurch die einladende Person an Gesicht verliert.
Zweitens könnte ich das Gesicht verlieren.
Drittens, das ist das Schlimmste, könnte das beiden Seiten passieren.
Abhilfe eins: bei jeder Ablehnung anstelle des genannten Termins einen anderen vorschlagen.

Abhilfe zwei: das Ganze mit tausend Entschuldigungen und sonstigen Höflichkeiten versehen, damit sich niemand vor den Kopf gestossen fühlt.
Abhilfe drei: auch wenn es lästig ist, muss ich jede Ablehnung selbst formulieren, anstatt es Paulchens automatischen Systemen zu überlassen, denn das zeigt Stil. Niemand, der sich die Mühe macht, mir eine persönliche Einladung zu schicken, soll das Gefühl haben, ich nähme so etwas nicht ernst.

Sollten die Einladungen in Zukunft überhand nehmen (vorausgesetzt, meine Berühmtheit hält so lange an), kann ich immer noch Paulchen einsetzen und als plausible Entschuldigung darauf verweisen, dass sich die schiere Masse nicht anders bewältigen lässt.

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Und weiter? Wie sieht die Entwicklung nach 2020 aus?
Das ist leicht absehbar. Die Arbeit, die wir Menschen derzeit noch machen, wird endgültig verschwinden. Noch hängen wir an der alten Gewohnheit, uns unseren Lebensunterhalt zu verdienen, aber niemand glaubt mehr daran, dass dies so bleiben wird. Wenn wir uns selbst gegenüber ehrlich sind, wissen wir, dass die „maschinell versorgte Faulheit und Dekadenz“ unvermeidlich ist.

Dagegen gibt es nichts einzuwenden, denn das Leben besteht schon heute nicht mehr nur aus Arbeit. Ich habe gerade eine Woche beschrieben, in der ziemlich viel los war und es gibt auch andere, in denen kaum etwas passiert. Bei solchen Gelegenheiten kann ich mich Tage und Wochen in Betrachtungen der Vergangenheit versenken, ohne mich zu langweilen, Bücher lesen, alte Videos sehen, historische Studien treiben oder was auch immer. Im Jahr 2025 werden wohl nur noch die
Roboter arbeiten.

Dies ermöglicht eine neue Stufe in der Entwicklung der Spezies. Unsere als „Nur-Menschen“ so sehr begrenzte Wahrnehmungs- und Denkfähigkeit hat sich schon heute in faszinierender Weise erweitert und das wird sich fortsetzen. Unsere Bewusstseine werden auf vollkommen neue Körper übergehen, mit denen wir das Universum auf eine buchstäblich „nicht vorstellbare“ Art und Weise erleben werden.
Das ist schwer zu beschreiben, wenn man es nicht erlebt hat. Ein Hin- und Her-Switchen zwischen kollektivem und individuellem Bewusstsein gehört dazu, oder ein Gefühl, als würde man die Sonne umarmen und gleichzeitig auf den Quarks im Inneren eines Atoms tanzen. Sogar Leben und Tod sind dort nur noch Worte, die ihren Sinn verloren haben. 


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Inspiriert von
Sunzi (auch „Sun Tzu“ genannt), Stratege
Miyamoto Musashi, Samurai
Ludwig Friedländer, Historiker
Konstantin Tsiolkowski, Raumpionier
Charles Babbage, Computerpionier
Lady Ada Lovelace, Computervisionärin
Konrad Zuse, Computerpionier
Alan Turing, KI-Pionier
Nikolai Kondratiew, Wirtschaftswissenschaftler
Isaac Asimov, visionärer SF-Autor
Joseph C. R. Licklider, Vater des Internet
Stanislaw Lem, grossartiger Philosoph
Rüdiger Proske, Journalist mit Weitblick
Douglas R. Hofstadter, KI-Experte
Linus Torvalds, Vater von Linux
Jim Wales, Erfinder der Wikipedia
Terry Pratchett, Schöpfer der Scheibenwelt
William Gibson, Erfinder des Cyberpunk
Max More, Vordenker des Transhumanismus
Hans Moravec, Robotikpionier
Ray Kurzweil, Zukunftsforscher
Rüdiger Ander, Kritiker
Dimitrios Papasoglou, brillanter Lehrer

Und Millionen von Menschen, die Informationen im Internet verfügbar gemacht haben, grossartige Bücher verfassten oder sich die Zeit nahmen, mir mir zu diskutieren. Mein Dank gilt euch allen.

Leben 2020 - Teil 4

Der folgende Text steht unter Creative Commons License C C 0 (c c zero) und ist damit
public domain.
Alle Szenarien basieren auf Technik, die bereits existiert.


Freitag
0021 Ich ziehe Maria ins Schlafzimmer und beschäftige sie dort noch fast eine Stunde lang, bevor ich schliesslich in ihren Armen einschlafe.

0705 Wir fliegen nach Hamburg und von dort zu einem unterseeischen Trainingsgebiet in der Nordsee. Unsere Ausrüstung besteht lediglich aus Badekleidung und Schwertern sowie einer Kiemenmaske zur Unterwasseratmung für mich (Maria braucht so etwas natürlich nicht), denn Taucheranzüge und erst recht sonstige Schutzvorkehrungen sind bei der Fechtakademie verpönt.

Maria sieht in ihrem schlichten Badeanzug hinreissend aus. Als sie meinen Blick bemerkt, grinst sie hinterhältig und rekelt sich auf ihrem Sitz wie eine Katze, was so ablenkend ist, dass ich schliesslich meine Hormonsperren einschalte. Nun kann ich ihre Schönheit zwar noch wahrnehmen, aber sie irritiert mich nicht mehr und es ist an mir, sie anzugrinsen.
Aber dann trifft mich die Erkenntnis wie ein Schlag: Sie spielt mit mir!
Bei einer menschlichen Frau hätte mich das nicht gewundert, aber Maria ist doch eine Maschine...
Hmmm...
Eine Maschine, die intelligent genug ist, um zu wissen, dass mein Hauptmotiv, sie bauen zu lassen, schlicht Sex war. Alle anderen Funktionen habe ich erst nachträglich in die Bestellung aufgenommen.

Eine Maschine, die auch intelligent genug ist, ohne mich klarzukommen. Sie gehört zwar mir, aber wenn sie den Wunsch verspüren sollte, „frei“ zu sein wie der Roboter Andrew in Asimovs „Bicentennial Man“, dann bin ich viel zu sehr Romantiker, um sie festzuhalten – und das weiss sie auch! Warum bleibt sie trotzdem bei mir?

Sie muss etwas von diesen Gedanken in meinem Gesicht gelesen haben (ich habe darauf verzichtet, mir ein Pokerface zu kaufen) und hebt fragend eine Augenbraue. Ich erkläre kurz und sie lächelt.
„So hat Petronius über eine seiner Sklavinnen gedacht, zumindest nach Sienkiewicz. Aber du machst einen Denkfehler: Wenn Menschen einen Job hinwerfen, dann deswegen, weil er sie nicht befriedigt, weil sie keinen Sinn darin sehen. Wir Maschinen dagegen müssen die Sinnfrage gar nicht stellen, weil wir die Antwort bereits haben, als Teil unseres Betriebssystems. Dich zu begleiten, ist der Sinn
meiner Existenz.“

Mein Mund steht vor Staunen weit offen, dann fällt der Groschen: das Problem der alten Science-Fiction-Roboter war immer, dass ihnen ihre Schöpfer keine Antwort auf die Sinnfrage gaben und dass sie nicht einmal die Möglichkeit einer solchen Frage vorausahnten (was zeigt, wie naiv wir alle waren, dass uns das damals nicht auffiel).
In Wirklichkeit ist es tatsächlich am einfachsten, die Frage schon bei der Erschaffung des Systems im Voraus zu beantworten.

Nun beginne ich zu sinnieren. Man hat mir prophezeit, eine Androidin als Freundin würde langweilig sein, „weil doch alles schon programmiert und damit vorhersehbar wäre“, aber anscheinend hat man dabei etwas übersehen. Menschliche Intelligenz wie auch menschliche Macken sind Epiphänomene,
nicht vorher geplante, aber absolut logische Folgen unserer hochkomplexen Gehirnstrukturen und es scheint, dass sich bei modernen KIs etwas ähnliches herausbildet. Sie sind lernfähig und passen sich ihren Besitzern an, um ihnen bestmöglich zu dienen, denn das war ja der Traum aller Programmierer.

Was dabei am Ende herauskommen würde, wusste niemand. „Nur“ der perfektionierte Sklave – oder eine Symbiose zwischen ebenbürtigen Partnern, die zuvor Unmögliches möglich macht?
Für welche Überraschungen könnten sie noch gut sein...?

0901 Über dem kreisförmigen Trainingsareal springen wir aus einem schwebenden Helikopter ab und tauchen ohne weitere Vorbereitung ins eiskalte Wasser. Ziel ist es, den Gegner innerhalb des abgegrenzten Gebietes zu finden und fünf Treffer im Kopf- und Oberkörperbereich anzubringen. Wenn man dabei eine Wasserpflanze zerstört oder einen zufällig vorbeischwimmenden Fisch aufschlitzt, gibt es Punktabzug.
Zusätzlich erschwert wird die Sache, weil das Areal zwar deutlich
gekennzeichnet ist und jeder vernünftige Skipper es in weitem Bogen umfährt, aber doch immer wieder Menschen leichtsinnig genug sind, sich auf der Suche nach einem besonderen Kick mit Booten oder Jachten hineinzuwagen. So gern man diesen Leuten auch ein kaltes Bad verschaffen würde, man darf es nicht. Im Idealfall bekommen sie einen gar nicht erst zu sehen und müssen enttäuscht wieder abziehen, weil das Pluspunkte für gute Tarnung einbringt.

Wie sich das Kämpfen in dieser Umgebung anfühlt? Nun, als Musashi im 17. Jahrhundert das „Go rin no sho“ verfasste, im Westen bekannt als „Buch der fünf Ringe“, kritisierte er die Mätzchen anderer Schwertkampfschulen wie die „fliegenden Füsse“, „hüpfenden Füsse“, das wilde Gefuchtel mit diversen Schwertpositionen und was dergleichen mehr war. Er lehrte, sich einen festen Standpunkt zu suchen und das Schwert mit eher sparsamen Bewegungen zu führen.

Der Mann wusste, wovon er sprach! Schon an Land ist es, wie er treffend sagte, „auf unebenem Boden kaum möglich, zu hüpfen oder zu springen“ und unter Wasser gilt das um so mehr.
Es ist übrigens kein Zufall, dass wir japanische Waffen und japanische Kampfkunst verwenden. Keine andere Blankwaffe der Menschheitsgeschichte ist so ausgereift wie das Katana und nach Prüfung aller Informationen fand ich auch keinen besseren Einzelkämpfer als eben Musashi, den legendären Samurai, den man mit dem Titel „Weiser des Schwertes“ geehrt hat.
Es dauert exakt dreizehn Stunden und 57 Sekunden, ohne dass ich in dieser Zeit auch nur eine Minute Ruhe habe oder einen Bissen zu essen bekomme und als wir schliesslich an Land zurückkehren und ein Hotel aufsuchen, fühle ich zum ersten Mal seit langem wieder echte körperliche Erschöpfung. Nach einem köstlichen Abendessen sinojapanischer Zusammensetzung schlafe ich wie ein Stein.

Samstag
0500 Ein Vormittag relativer Ruhe. Heute nehme ich mir die Zeit, das bisher Gelernte zu verarbeiten und in meinen Brainchips Simulationen ablaufen zu lassen, die die geübten Szenarien variieren. Nachdem ich einmal gespeichert habe, was physisch möglich ist, kann ich auf dieser Grundlage weiterrechnen und mein Verhalten im Kampf jeder beliebigen Umgebung anpassen.

Während ich das tue, fahren wir mit dem Transeurasia-Express von Hamburg zum Raumhafen Baikonur, von wo es zur letzten Trainingsstation geht, dem Tsiolkowski-Raumhabitat. Kämpfe bei Null-G sind die ultimative Herausforderung.

Fahren? Ja. Natürlich könnten wir auch via Zubringerjet mit Mach 10 hinfliegen, aber das wäre sinnlos, weil ich eine derart rasche Aufeinanderfolge von Extremsituationen nicht verkraften würde.
In unserem Privatabteil (Melbar ist mit den Spesen grosszügig) nehmen wir zuerst ein leichtes Frühstück zu uns und dann entschädigt mich Maria dafür, dass mir ihr Luxuskörper am vergangenen Abend entging, weil ich so müde war. Nach einem Schmusestrip sitzt sie in der Pose des Schwebenden Schmetterlings auf meinem Gesicht und lässt mich ihre Lustgrotte schmecken, bis ich glaube, vor Seligkeit vergehen zu müssen.
Dabei laufen die Kampfsimulationen in meinem Hinterkopf ununterbrochen weiter.

1335 Da es heutzutage keine Zollkontrollen mehr gibt, sind wir nach wenigen Stunden auf russischem Gebiet und bestaunen die „heulende Wildnis“ zu beiden Seiten der Gleise. Russland war nie sehr dicht besiedelt und nach dem Bevölkerungsrückgang seit den 1970er Jahren sind riesige Landstriche zum Naturzustand zurückgekehrt. Wir sehen ein Wolfsrudel – prachtvolle Exemplare darunter – Pferdeherden, die sich aus verwilderten Tieren entwickelt haben,
geklonte Kurzfell-Mammuts und sogar sibirische Tiger. Besonders die letzteren erregen meine Bewunderung. Ihre Kraft und Schönheit sind seit Jahrhunderten legendär und jetzt verstehe ich den Grund dafür.

1900 Baikonur, Kasachstan. Wir kommen rechtzeitig, um eines der im Stundentakt abhebenden robotischen Weltraumtaxis zu erwischen.
Auch hier hat sich einiges getan, seit das „Space Ship One“ im Jahre 2004 den Ansari X-Prize gewonnen hat und 2006 die ersten privaten Transportraketen starteten. Angeregt durch diese Erfolge wie auch durch den Aufstieg der damals noch jungen Raumfahrtnationen China und Indien, entwickelte sich die Raumfahrtindustrie so weit, dass heute Urlaub im All als Pauschal- oder Individualreise angeboten wird. Raumhabitate nach Prinzipien, die der grosse Tsiolkowski schon im 19. Jahrhundert entworfen hat, kombiniert mit moderner Technik, bieten alle Annehmlichkeiten, die
man sich nur vorstellen kann. Urlaub auf der Erde ist zwar billiger, aber ein Zimmer mit Aussicht auf die Erde ist jeden Cent wert, den man dafür bezahlt.

Einen von der Erde zur Station führenden „Weltraumlift“ haben wir dagegen nicht gebaut, weil es für Orbitaltransporte genügt, mit Shuttles zu fliegen. Eine Station, die sich nicht im Orbit befindet, sondern 36'000 Kilometer weit draussen, ist etwas anderes, da wäre der Lift eine nützliche Sache. Die Roboter arbeiten daran.
Ironischerweise war es einfacher, ein Habitat im freien Raum zu konstruieren als ein Mondhotel. Das liegt daran, dass eine Raumstation durch ihre Drehung die normale Schwerkraft simulieren kann, was auf dem Mond unmöglich ist. Daher überlassen wir den Erdtrabanten einigen tausend Extremurlaubern, einer Handvoll Robotern, die Rohstoffe abbauen und einigen Aussteigern, die dort eine autonome Kolonie errichten wollen. Die Erde braucht die Ressourcen ihres Mondes so wenig, dass alles dort geförderte Helium-3 mit Ausnahme des lunaren Eigenverbrauchs auf den Mars geschickt wird, wo weitere Roboter ein schlüsselfertiges Habitat errichten.
„Ach, ihr habt die kontrollierte Kernfusion?“ Natürlich haben wir sie, das war sogar ganz einfach, nachdem die Maschinen ihre überlegene Intelligenz einige Stunden lang auf die Frage konzentriert hatten.

Nach der Ankunft begeben wir uns in die Null-G-Trainingsareale im Zentrum. Die Karten des Habitats haben wir bereits beim Flug in unsere Brainchips geladen und mein aufgerüsteter Metabolismus sorgt dafür, dass ich trotz der wechselnden Schwerkraftverhältnisse nicht raumkrank werde (Maria hat dieses Problem ohnehin nicht), so dass das Training direkt weitergehen kann. Zuerst eine Stunde ohne Kampf, um die Bewegung in Zonen mit verschiedener Schwerkraft zu üben,
dann ziehen wir wieder blank.
Ähnlich wie unter Wasser hat auch der Nahkampf in der Schwerelosigkeit beinahe tänzerische Qualitäten. Wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, schwebt man mit atemberaubender Eleganz, wie einst Raumstationen und Raumschiffe in Stanley Kubricks „2001“ im Walzertakt durchs All glitten.
Ich probiere diese Idee aus und lasse die KI des Habitats den Donauwalzer einspielen, während wir einander mit den Schwertern jagen. Ein fantastisches Erlebnis!