Kräftemangel
Ein
Softwarebot muss genügen
Noch
immer wird als Schreckensszenario ausgemalt, dass Maschinen den
Menschen die Jobs wegnähmen. In der Realität wären viele Leute
froh, wenn es solche Maschinen gäbe, denn die Kräfte der Menschen
reichen längst nicht mehr.
Von:
Klaus Gieg
Stellenausschreibungen überall
Quelle: eigenes Werk des Autors
Quelle: eigenes Werk des Autors
„Wo
wollen Sie die Leute denn noch hernehmen?“, fragt Mister X und
breitet resigniert die Arme aus. „Das Potenzial aus der Zuwanderung
ist erschöpft und die Roboter sind noch lange nicht gut genug.
Fazit: die Bedürfnisse der Menschen werden nicht mehr bedient.“
Der
Analyst, der seinen wirklichen Namen nicht genannt wissen will,
verweist darauf, dass die Vergreisung Deutschlands und der daraus
resultierende Mangel an Arbeitskräften keine Geheimnisse seiner
Zunft sind, sondern seit den 2000ern öffentlich diskutiert werden.
„Im Jahr 2017 konnte man bei Wirtschaftswoche Online lesen, dass
das Erwerbspersonenpotenzial in Deutschland 2018 sein Maximum
erreichen würde. Man hat nur nicht gewagt, auch die Folgerung
hinzuschreiben, nämlich dass es am Tag nach diesem Peak zu
schrumpfen beginnen würde.“
Genau
das aber passiert seit jenem „Tag danach“, jeder arbeitsfähige
Mensch in Deutschland, der etwa bei einem Verkehrsunfall stirbt oder
von den Nazis aus dem Land gejagt wird, hinterlässt eine offene
Stelle.
Dies
befeuert eine weitere Entwicklung: Die „Flexibilität“, welche
Manager seit den 1990ern gebetsmühlenartig einfordern, wendet sich
gegen sie, jeder auch nur halbwegs Qualifizierte kann jederzeit ein
besseres Angebot finden. Was Wunder, wenn sogar Zeitarbeitsfirmen,
einst ein Synonym für Ausbeutung, schon Stundenlöhne bis zu elf
Euro zahlen?
Im
internationalen Rahmen zeigt sich die Flexibilität ebenso drastisch:
Seit einigen Sommern klagen deutsche Bauern darüber, dass ihnen die
Ernte auf den Feldern verfault, weil die Erntehelfer aus Osteuropa
ausbleiben. Nur die Ursache – „Deutschland ist nicht mehr
attraktiv genug“ – wagt niemand auszusprechen.
Dass
es hierzulande Menschen gibt, die für den Mindestlohn arbeiten,
liegt nicht daran, dass der so toll wäre, sondern dass die Leute so
verzweifelt sind. Die soziale Spaltung verläuft zwischen denen, die
für die moderne Welt qualifiziert sind und allen Anderen. Die
herkömmliche Definition von „Geringqualifizierten“ als Leute,
die maximal einen Realschulabschluss haben und keine
Berufsausbildung, reicht zur Beschreibung der modernen Welt nicht
mehr aus, denn in der selben Situation finden sich auch Menschen mit
Ausbildung und 30 bis 40 Jahren Berufspraxis, die noch einmal
komplett umlernen, weil die Not sie dazu zwingt. Ihre
Qualifikationen aus früheren Jahrzehnten sind wertlos geworden, ein
Abschlusszeugnis von beispielsweise 1980 oder 1990 kann man
wegwerfen.
Früher
gab es ein Liedchen „Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an – mit
66 Jahren, da hat man Spass daran...“; heute müsste es heissen
„Mit 66 Jahren fängst du im Callcenter an“, denn das ist der
letzte Ausweg derer, denen die Rente nicht reicht und die weder
Ahnung von Netzwerktechnik haben noch Chinesisch sprechen. Dort
treffen sie dann auf Jüngere, deren Qualifikationen ähnlich niedrig
sind und die zusätzlich eine miserable Rechtschreibung haben.
Selbst
beide Arten von Verzweifelten zusammen sind allerdings zu wenig
Leute, um alle derartigen Stellen zu besetzen, auch wenn man also
jeden Geringqualifizierten und jeden Rentner im Lande „aktivieren“
würde, blieben Lücken.
Noch
dazu ist die Situation nicht statisch: Sobald die Leute verstanden
haben, dass sie im eigenen Interesse etwas dazulernen sollten und das
auch tatsächlich tun, sind sie eben keine „Geringqualifizierten“
mehr und können sich ihre Jobs erst recht aussuchen.
Eine
Firma, die bei alledem nicht mithalten kann, kriegt ihren
Kundendienst nicht mehr hin, Aufträge werden nur noch verzögert
ausgeführt oder gar nicht erst angenommen, was unter anderem dazu
führt, dass Hunderttausende von Bauvorhaben, die schon behördlich
genehmigt sind und für die das Kapital bereit steht, einfach liegen
bleiben.
Bei
öffentlichen Verkehrsmitteln ist das Ergebnis ebenso simpel: Busse
und Strassenbahnen fallen aus, mit allen Folgeschäden und -kosten
für die Passagiere und sich darüber auf Facebook zu empören,
bringt nicht einen einzigen Menschen dazu, sich bei den
Verkehrsverbünden zu bewerben.
Auch
der bestenfalls schneckenlahm stattfindende Ausbau von
Breitband-Internet und 5 G-Mobilfunk, mit dem sich Deutschland Monat
für Monat vor der Welt blamiert, geht auf den Kräftemangel zurück.
Das führt ausserdem dazu, dass deutsche Firmen bei der
Digitalisierung als Ganzes weit hinterher hinken, Softwarebots, die
die Menschen entlasten, werden erst mit jahrelanger Verzögerung
eingeführt und die Geschwindigkeiten bei der Datenübertragung, die
diese Bots zur Kommunikation untereinander und mit den Datenbanken
benötigen, sind kaum vorhanden.
Es
wurde schon beklagt, dass China fortschrittlicher sei als
Deutschland, was vor diesem Hintergrund nicht verwundert. Wenn die
Daten nicht schnell genug fliessen, kann man nur zurückfallen und
die dadurch entstehenden Schäden verstärken sich gegenseitig.
Immer
weniger Kräfte
Es
gibt auch keine Aussichten, dass in den nächsten Jahren mehr
Menschen nachwachsen, sondern die Bevölkerung schrumpft,
Kindergarten um Kindergarten und Schule um Schule schliessen quer
durch alle Bundesländer, so dass mittlerweile Zehntausende von
Ausbildungsplätzen wie sauer Bier angeboten werden und sie doch
niemand haben will.
An
den Universitäten das selbe Bild, die Zahl der Erstsemesterstudenten
stagnierte in 2016 und sinkt seit 2017. Stiftungen zur
Begabtenförderung werden ihre Gelder nicht mehr los und werben daher
seit Jahren um Kandidaten, eine Revolution für dieses früher
diskret betriebene Geschäft, aber der Erfolg ist gering, denn mit
immer weniger Menschen insgesamt gibt es auch immer weniger Begabte.
Auf
mehr Zuwanderung zu setzen, ist ein Selbstbetrug, denn die Zeiten der
Bevölkerungsexplosion sind längst vorbei. Medial und politisch
herbeigehetzte Angst vor Flüchtlingen verdeckt den Blick darauf,
dass die Weltbevölkerung kaum noch wächst und ab den 2020ern
schrumpft. Erinnern Sie sich noch an die Prognosen von 9 Milliarden
Menschen? Gar 10 oder 12 Milliarden? Vergessen Sie es, schon die acht
Milliarden werden wir niemals erreichen.
In
vielen Publikationen ist darauf hingewiesen worden, dass das Wachstum
der Städte in der sogenannten „Dritten Welt“ sich abgeschwächt
hätte und das ist noch vorsichtig ausgedrückt, denn in Wirklichkeit
hat es aufgehört. Schauen wir etwa nach Iran: Die Dörfer haben sich
längst geleert, die Geburtenrate ist niedriger als in Deutschland
und die jungen Männer sterben in Syrien oder gleich zu Hause im
Kampf gegen das eigene Volk, von einer wahnsinnigen Regierung in den
Tod geschickt. Wo sollen da noch mehr Menschen herkommen?
In
2018 wurden als potenzielle Rekrutierungsgebiete für EU-Staaten die
subsaharischen Länder sowie Indien und Pakistan diskutiert. Damit
wurde stillschweigend eingestanden, dass Ost- und Südosteuropa
leergecastet sind, das Schrumpfen der russischen Bevölkerung ist
unterdessen schon eine Binsenweisheit.
Inder
und Pakistaner können allerdings auch zu Hause schuften bis zum
Umfallen, brauchen sich also nicht erst in Deutschland zu bewerben
und in Afrika ist gerade ein gigantischer Wirtschaftsaufschwung
angelaufen, die „Löwenstaaten“ folgen dem Vorbild der
asiatischen Tigerstaaten und bieten den Menschen vor Ort eine
Perspektive.
Den
Mangel umverteilen
Die
Folgen sind in Deutschland spürbar: 2017 sank die Zahl der
Asylanträge, um dieses Reizwort auch einmal einzubringen, auf gerade
noch 187'000 und in 2018 noch weiter auf 130'000. Selbst wenn sie
alle genehmigt worden wären und diese Menschen tatsächlich in
Deutschland blieben, würde das nicht einmal reichen, um den
Sterbeüberschuss hierzulande auszugleichen.
Die
Not hat Einiges in Bewegung gebracht, so sollen verschiedene
Massnahmen etwa den Bundesfreiwilligendienst attraktiver machen,
andere die Pflegeberufe, man wirbt öffentlich um Lehrkräfte wie
auch um Justizbeamte und mit dem „Qualifizierungschancengesetz“
wurde Ende 2018 die generelle Notwendigkeit von Weiterbildung
unterstrichen und zusätzliche Gelder dafür bereitgestellt. Das
alles vollbringt keine Wunder, aber es ist vernünftig – sogar
vernünftiger, als man deutschen Politikern noch zugetraut hätte.
Sicher
gibt es Menschen, die von alledem nicht erreicht werden. Sie hören
nicht einmal mehr zu, wenn von Umschulung die Rede ist und wursteln
sich durch mit einer Mischung aus Hartz IV, öffentlichen Tafeln,
Betteln am Bahnhof und dem Durchwühlen von Mülltonnen. Aber diese
Leute sind ungeachtet ihrer medialen Präsenz eine Minderheit, die
Mehrzahl der Menschen will lernen und tut dies bei jeder Gelegenheit.
Mehr
Leute freilich schafft keine Massnahme je wieder herbei. So lange
also die Kräfte der Menschen begrenzt bleiben und die der Maschinen
noch zu gering sind, ist die Personaldecke nicht nur hier oder dort
zu kurz, sondern überall und man kann die Leute bestenfalls von
einem Brennpunkt zum anderen werfen.
Was
bedeutet das für die Zukunft?
Die
Dörfer, schon heute unattraktiv, sterben vollends aus und verfallen,
bis es auf dem Land höchstens noch die eine oder andere
Urlaubseinrichtung gibt, parallel schrumpfen die Städte.
Wirtschaftswachstum jedoch, die Religion unserer Zeit, ist auf das
Wachstum der Bevölkerung angewiesen, denn immer weniger Menschen
kann man nicht immer mehr Dinge verkaufen. Seit der grossen
Pestepidemie im 14. Jahrhundert hat es ein solches Szenario nicht
mehr gegeben und die Wirtschaftswissenschaften müssen Modelle und
Theorien, die zu dieser neuen Realität passen, erst noch entwickeln.
Eine
Parallele lässt sich schon jetzt erkennen: der damalige wie heutige
Mangel an Arbeitskräften führte zu radikal steigenden Löhnen und
man suchte Hilfe in der Technisierung – damals war das zum Beispiel
der Buchdruck. Diese Lösung jedoch barg Potenziale in sich, die
nicht einmal ein Gutenberg ahnte und diese führten dazu, dass man
nicht mehr im Mittelalter stehenbleiben konnte, wie es viele wollten,
sondern die Neuzeit über die Menschen hereinbrach.
Dies
also ist die Dimension, in der wir denken müssen, wenn wir uns auf
die nächsten Jahre vorbereiten. So langsam die Digitalisierung
hierzulande auch verläuft, sie geht weiter und im Zusammenwirken mit
dem Bevölkerungsschwund verändert sie die Dinge immer mehr:
-
Der Einzelhandel verschwindet. In den letzten fünfzehn Jahren ist in
ganz Europa kein einziges neues Kaufhaus mehr eröffnet worden, aber
Tausende geschlossen und im Jahr 2030 werden sie nur noch eine
Erinnerung sein. Ebenso schliessen kleinere Läden, der Beweis ist in
jeder Fussgängerzone sichtbar.
-
Den Banken geht es ebenso, Filliale um Filliale schliesst und ihr
viel beschworenes „Kerngeschäft“ wird von den FinTechs
assimiliert.
-
Die Textilbranche verzeichnet seit 2016 Insolvenz auf Insolvenz, weil
der Markt übersättigt ist und der technische Fortschritt die
Nachfrage nach Kleidung effizienter bedient als klassische Methoden.
Man bedenke: Mit Apps, die individuelle Designermode für jeden
Nutzer kreieren und damit verbundenen Nährobotern, die jedes
derartige Einzelstück on demand produzieren, haben wir noch gar
nicht richtig angefangen. Keine einzige Modefirma wird diese
Entwicklung überleben und damit im Zusammenhang verschwindet das
gesamte Modelbusiness.
-
Fortgeschrittene Softwarebots und Sprachassistenten löschen die
Callcenterbranche aus.
-
Mit der Steinkohle ist es bereits vorbei und der Siegeszug der
Solarenergie wird auch die Braunkohle eliminieren, 2030 ist sie nicht
nur in Deutschland Vergangenheit, sondern global.
-
Fernsehsender haben keine Chance mehr, denn das Medium Fernsehen
verschwindet. Mag also Deutschland als die verspätete Nation seine
„öffentlich-rechtlichen“ Zombies noch so lange mit Geld füttern,
es kann ihren Untergang nicht aufhalten.
-
Nur ein Witz, den aber viele bitter ernst nehmen, ist dem gegenüber
die neue Herausforderung an die Feministinnen, die nun darüber
streiten, ob sie ebenso gegen biotechnische Brustvergrösserungen,
Schamlippenverkleinerungen usw. sein sollen wie gegen chirurgische.
Sie werden sich in einer Allianz mit plastischen Chirurgen
wiederfinden, die ihre Felle davonschwimmen sehen.
-
Sonnenstudios gehen bankrott und die Kosmetikbranche wird ihre
Selbstbräuner nicht mehr los, weil Gentherapien auch zur Veränderung
der Hautpigmente benutzt werden. Eine einzige derartige Spritze
genügt, um dauerhaft eine braune Haut zu bekommen.
-
Der Zusammenbruch der Speditionen und Paketdienste aus Mangel an
Fahrern wirft die Menschen auf das zurück, was bei ihnen in der Nähe
erzeugt werden kann. Hier werden die stetig verbesserten
Drei-D-Drucker und Chemikaliendrucker ihre Potenziale entfalten,
lange bevor die viel beschworenen autonomen Lkws in Serie gehen.
Durch
diese Veränderungen verschwinden in Deutschland schon bis Ende 2020
mindestens eine Million Jobs. Die nun freigesetzten Leute können die
eine oder andere Lücke füllen, vorausgesetzt, dass sie bis dahin
die nötigen Qualifikationen erwerben. Tun sie das nicht, müssen sie
nach dem Verschwinden ihrer bisherigen Branchen erst umlernen und
dieser Prozess wird mühsam, natürlich um so mehr, je später sie
damit beginnen.
Gleichzeitig
wird immer mehr Arbeit nicht gemacht, das bedeutet immer mehr nicht
erfüllte Bedürfnisse und eine neue Form von
Zweiklassengesellschaft: Von Menschen bedient zu werden, wird zu
einem Privileg für die Reichen und die Normalen können noch froh
sein, wenn sie etwa bei Reklamationen mit einem Softwarebot
abgespeist werden oder im Altersheim mit einem Pflegeroboter. In
vielen Fällen werden sie nicht einmal mehr das bekommen, denn für
so viel kluge Software, wie nötig wäre um sämtliche Lücken zu
füllen, gibt es in ganz Europa nicht genug Programmierer.
Selbst
wenn also die Roboter doppelt so intelligent werden, wie sie heute
sind, wird der Zustand eines allgemeinen Kräftemangels mehrere Jahre
andauern.
***
Nachwort
Der
Charakter des „Analysten Mister X“ ist frei erfunden, jede
Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen wäre rein zufällig.
Dass ich ihn überhaupt eingeführt habe, ist eine Parodie auf den
journalistischen Brauch, einen Menschen mit Vor- und Nachnamen als
Zeugen für irgend etwas zu präsentieren und dann im Kleingedruckten
zu schreiben „Name von der Redaktion geändert“, womit natürlich
die Beweiskraft in sich zusammenfällt.
Mit
diesem Blogposting beweise ich erstens, dass es keine Journalisten
braucht, um solche Artikel zu erschaffen und zweitens, dass solche
Artikel überflüssig sind, weil die Informationen, die darin
verarbeitet wurden, schon vorher öffentlich zugänglich waren.
Ach
ja, drittens beweise ich damit auch meine Fähigkeiten in
Rechtschreibung, Grammatik und Formulierungskunst.
Viertens
wird man mir natürlich vorwerfen, beim Thema selbst übertrieben zu
haben. Seid gewiss, liebe Kritiker: ich habe noch viel zu wenig
gesagt, denn kein Einzelner kann das Ganze überschauen. Die volle
Wucht dieser hochkomplexen Entwicklung wird euch treffen wie ein
Vorschlaghammer.
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