Montag, 16. Dezember 2013

Ein wenig Geschichtsphilosophie oder Warum es keine Rolle spielt, dass der Dreamliner so ein Pechvogel ist


Die Medien sind voll von Schreckensmeldungen zur Boeing 787 und je nachdem, was man bezweckt, lässt sich die Sache in jeden beliebigen Kontext biegen, von „Da hat man es, die Amis könnens eben nicht“ bis zu „Oh Gott, wenn das nicht mal die Amis schaffen, dann schafft es niemand, das ist das Ende der Zivilisation“ oder irgend etwas dazwischen.

In derartigen Fällen ist es hilfreich, einen Blick in die Geschichte des Flugzeugbaus zu werfen, denn das jämmerliche Versagen des Boeing-Managements, das ein solches Desaster erst ermöglichte, hat seine Vorgänger.
- 1918, gegen Ende des Ersten Weltkrieges, bauten die Briten einen sechsmotorigen Bomber namens Tarrant Tabor, ein überaus beeindruckendes Ding, das so sehr falsch konstruiert war, dass es schon beim ersten Flug abstürzte.
- In den 1930ern entstand in den USA die Curtiss SB2C Helldiver, ein trägergestützter Sturzkampfbomber, bei dem es noch schlimmer zuging, denn auch hier stürzte der Prototyp ab, dennoch kam es zur Serienfertigung einer Version, die schlechter war als jenes Modell, das sie ablösen sollte und es wurden 7'000 Exemplare gebaut, damit die Piloten auch im scharfen Einsatz etwas zu fluchen hatten.
- Im damaligen Deutschen Reich wäre es niemandem eingefallen, aus den Dummheiten anderer Länder zu lernen, sondern man hielt es für eine patriotische Pflicht, eigene Dummheiten zu machen. Mit deutscher Gründlichkeit verknüpfte man die Idee eines viermotorigen Bombers mit grosser Reichweite mit der Idee des Sturzkampfbombers. Da eine viermotorige Maschine beim Sturzflug glatt zerbrochen wäre, koppelte man jeweils zwei normale Flugzeugmotoren zu einem zusammen, was dem Entwurf das Aussehen und, so hoffte man, die Sturzeigenschaften einer zweimotorigen Maschine geben würde. Nun waren aber diese gekoppelten Motoren relativ empfindlich und fingen auch ohne Feindeinwirkung schnell Feuer, was dem so ausgerüsteten Flugzeug, der Heinkel He 177, die Namen „Reichsfeuerzeug“ und „Reichsfackel“ einbrachte.
- Im japanischen Kaiserreich wäre es damals unter der Würde der Kriegsherren gewesen, etwas aus den Dummheiten des Weissen Mannes zu lernen, also erschuf man eine einheimische Dummheit. Der Bomber Mitsubishi G4M sollte eine möglichst grosse Reichweite bekommen, also war er in Leichtbauweise ausgeführt und dadurch so beschussempfindlich, dass er schon nach wenigen Treffern in Flammen aufging, woraufhin er von seinen Gegnern die Bezeichnung „One-Shot Lighter“ (Wegwerf-Feuerzeug) bekam.

Damit könnte man den Schluss ziehen, so viel Dummheit sei eine spezifisch militärische Eigenschaft.
Wenn es doch nur so einfach wäre! Bei rein zivilen Projekten versuchen viele Leute, die Uniformträger zu übertreffen und das bisher furchtbarste Ergebnis ist die DeHavilland DH 106, besser bekannt als Comet 1. Sie wurde 1951 als Wundermaschine und als Anbruch eines neuen Zeitalters gepriesen, aber sie hatte schwerwiegende Konstruktionsfehler, die sich erst im laufenden Betrieb zeigten – in Abstürzen mit Hunderten von Toten während der Jahr 1953 und 1954. 
Es war eine Tragödie, die man sich noch heute kaum vorstellen kann und das Zeitalter der Passagierjets schien vorbei zu sein, noch ehe es richtig begonnen hatte. Die verbesserte Version Comet 4 kam zu spät, um am Markt noch erfolgreich zu sein, eine fürs Militär entwickelte Variante war jedoch ironischerweise so zuverlässig, dass sie bis 2011 im Dienst blieb.
Auch Boeing hat im Zivilgeschäft schon des öfteren kräftig gepatzt, in den 1960ern etwa, als man in Konkurrenz mit den Europäern und Sowjets an Überschallmaschinen für den Passagierdienst arbeitete. Das amerikanische Projekt, die Boeing 2707, wurde nie gebaut, so dass man zwar von 1966 bis 1971 Hunderte Millionen Dollar damit verbrannte, davon 75% Steuergelder (!), aber dennoch weniger erreichte als die Kommunisten mit ihrer Tu-144 und erst recht weniger als die Europäer mit der Concorde. 122 Bestellungen mussten abgesagt werden.
Und dann ist da noch der grosse europäische Pannenvogel Airbus A380.

Es liessen sich noch mehr Beispiele finden, aber es dürfte hinreichend deutlich geworden sein, dass derartige Pleiten zum Flugzeugbau offenbar dazu gehören.

Wie ist so etwas möglich? Schliesslich sind die Naturgesetze wie Physik, Aerodynamik usw., die beim Flugzeugbau eine Rolle spielen, schon seit langer Zeit bekannt, genauso die Prinzipien der Ballistik bei spezifisch militärischen Anforderungen, die Werkstoffkunde bei den jeweils verwendeten Materialien und endlich sind die o.g. Fälle auch keine Geheimnisse, sondern es gibt ganze Bücher darüber. Jeder Amateur kann sich in die Materie einlesen und für Fachleute sollte das selbstverständlich sein. Boeing ist ja schliesslich nicht irgend eine Firma, sondern baut schon seit wer weiss wie vielen Jahrzehnten Flugmaschinen!
Die logische Antwort ist, dass es nicht an fehlendem Wissen liegt. Es liegt an der Eitelkeit der Manager, die glaubten, dieses Wissen selbst nicht zu brauchen und auch das Wissen und Können anderer Leute ignorieren zu dürfen.

Warum ist das so? Wie können die Manager immer und immer wieder eine solche Schuld auf sich laden?

Die Antwort ist so einfach wie schrecklich: Es liegt nicht daran, dass es hier um Flugzeuge geht, sondern hier wirken sich menschliche Schwächen nur besonders drastisch aus. Flugzeugfirmenmanager sind genau wie Manager in anderen Branchen, nämlich dumm, unfähig, eingebildet und zumindest in Teilen psychopathisch. Warum solche Leute an die Spitze kommen, ist eine Frage, die wir ein andermal behandeln können, belassen wir es einstweilen dabei, dass diese Methode den geringsten Schaden anrichtet. Wenn man nämlich verhindern will, dass Idioten oder Wahnsinnige an die Spitze kommen, braucht man ein Kontrollsystem, das so aufwändig ist, dass jeder Staat, der eines zu errichten versucht, automatisch bankrott geht, von der Korruptionsanfälligkeit gar nicht zu reden. Stattdessen die Kunden zu Betatestern zu machen, ist zutiefst unethisch, hat sich aber in der Praxis als die beste aller schlechten Lösungen erwiesen.

Und warum soll das trotzdem kein grösseres Problem sein? Ganz einfach, weil Menschen sich auf so etwas einstellen können. Sie rechnen mit der Blödheit der Bosse, wie sie mit Unwettern rechnen und dann machen sie das Beste daraus. Im Fall der 787 heisst das, dass man andere Flugzeuge benutzt oder dass man eine Möglichkeit findet, den Luftweg zu umgehen oder was auch immer. Ich z.B. habe mir einige Städte in den USA per Youtube-Videos angesehen und damit entsprechend viele Flugreisen gespart.

Das bedeutet für die Zukunft, dass es noch andere Grossprojekte geben wird, seien es technische, politische oder sonst etwas, die jämmerlich in die Hose gehen und dass nichts und niemand das jemals verhindern kann. Da wir das wissen, können wir dem in Ruhe entgegen sehen und dann, wenn die Trümmer zu Boden gefallen sind, retten, was noch zu retten ist.

Wem das nicht reicht, dem kann ich gerne einige Lösungen liefern und auch erklären, warum diese Lösungen nicht angewendet werden. Boeing hat mehrere Möglichkeiten:
- Zurück an den Anfang gehen und das Flugzeug noch einmal von vorne bauen, um es diesmal richtig zu machen. Dann könnte die 787 in weiteren fünf bis zehn Jahren brauchbar sein. Wird nicht gemacht, weil die Eitelkeit der Manager es verhindert und offiziell begründet man diese Haltung mit hohen Kosten.
- Fremde Experten heranziehen. Könnte nur unter äusserem Druck geschehen, der die Seilschaften im Konzern durchbräche. Einen solchen Druck gibt es nicht.
- Alles offenlegen und die weltweite Community von Experten an die Sache heranlassen, dann wären alle Probleme der 787 innerhalb von vier Wochen gelöst. Wird nicht gemacht, weil Boeing damit Betriebsgeheimnisse preisgeben müsste, von denen man sich in Zukunft noch Einnahmen verspricht und ausserdem die Eitelkeit der Manager erst recht angekratzt würde.

Da wir die menschliche Natur kennen, ist leicht vorherzusagen, dass man den dümmsten Weg gehen wird, nämlich „weiter wie bisher“ und sich vor den Konsequenzen zu drücken versucht. Damit wird man alles nur noch schlimmer machen und entweder bricht dann das ganze Lügengebäude zusammen, wodurch die 787 vom Markt verschwindet oder es geschieht vorher das Wunder, dass einer der Boeing-Manager den Mut findet, zu sagen „das war Scheisse, wir müssen uns unsere Fehler eingestehen und etwas Neues machen“.
So oder so wird es schmerzhaft.
Wenn Sie das alles nicht glauben wollen, so können Sie sich leicht selbst überzeugen, ob das Boeing-Management besser ist, als ich es hier darstelle. Richten Sie eine Anfrage zu dem Thema an Boeing selbst, z.B. „Was hat man sich bei den irrealen Versprechungen zu Lieferterminen der 787 gedacht?“ und Sie werden keine ehrliche Antwort bekommen, sondern nur das ewig gleiche PR-Geschwätz.

Die Geschichte belehrt uns ausserdem, dass es noch eine weitere Möglichkeit gibt. Es kann sein, dass Boeing-Mitarbeiter bei der Fehlersuche und -behebung die Maschine im laufenden Betrieb perfektionieren. Das wäre nicht das Verdienst der Manager, es sähe aber so aus, als wenn das „weiter so“ doch funktioniert hätte.
So etwas erfordert einen langen Atem, d.h., man braucht Ressourcen, von denen man in dieser zusätzlichen Arbeitszeit leben kann. Wenn es funktioniert, wäre idealerweise noch durch eine psychologische Untersuchung zu klären, ob die Verantwortlichen eine wohl abgewogene Entscheidung trafen oder nur mehr Glück als Verstand hatten, denn nur so könnte man sicher sein, dass das Lob nicht an die Falschen geht und der Fehler in Zukunft vermieden wird.
In der Realität wird es eine derartige Untersuchung nicht geben, man begnügt sich damit, Lob mit der Giesskanne zu verteilen und nur bei einem Fehlschlag genauer hinzuschauen, denn so sind wir Menschen.

Wenn wir schon dabei sind, können wir auch gleich noch den Advocatus Diaboli spielen und das Ganze als Beispiel für amerikanischen Wagemut und damit für eines der „Erfolgsgeheimnisse“ der USA ansehen, denn Boeing hat im Bewusstsein, dass das Leben der Firma vom Verkaufen immer neuer Flugzeuge abhängt, sowohl bei den Materialien und der Fertigung wie auch bei der Ausstattung der 787 Neuland betreten und ist damit ein enormes Risiko eingegangen, gar nicht davon zu reden, dass der Fall reichlich Anschauungsmaterial über hochkomplexe Prozesse bietet, aus dem jeder, der will, etwas lernen kann. Wer weiss denn schon, ob das nicht belohnt, der Dreamliner nicht im Jahr 2017 oder so als Vorbild gefeiert werden wird?

So, jetzt denken Sie bitte selber darüber nach und bilden sich Ihr eigenes Urteil.

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Das gleiche Szenario wie beim Dreamliner im Vergleich mit der Geschichte des Flugzeugbaus sehen wir bei den Banken. Es wird so getan, als wäre der jeweils aktuelle Bankencrash etwas völlig Unverhersehbares und nie Dagewesenes.
Nun, es ist nicht ganz so neu. Dass etwas Derartiges möglich ist, also die Bank das Vertrauen der Anleger verliert, sah ich zum ersten Mal als Kind in dem Film „Mary Poppins“ (die 1964er-Version mit Julie Andrews) und verstand es, ohne irgendein „Experte“ zu sein, denn die Bilder sprachen für sich. Und wenn wir in die reale Geschichte greifen, ziehen Sie sich besser warm an, denn es gab noch nie ein Jahr ohne Bankenkrise, seit es überhaupt Banken gegeben hat. Wer historisch einigermassen versiert ist, kann daher die immer gleichen Heulereien über das Thema nur als gähnend langweilig empfinden.
Nur der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass die Welt deswegen noch lange nicht untergegangen ist.

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