Montag, 4. November 2019

Die Lösung aller eurer Probleme


1. Staatsschulden, Wirtschaft, Bildung
Es wird immer wieder behauptet, Deutschlands Steuerzahler müssten heute noch für Kosten aus den Weltkriegen aufkommen oder aus dem Wiederaufbau der 1950er oder was auch immer.
Alle derartigen Behauptungen sind gelogen. Die Staatsschulden der beiden Weltkriege wie auch der Zwischenkriegszeit sind schon lange bezahlt, die Schulden der 1950er-Jahre oder meinetwegen auch die der 1960er, 1970er, 1980er und 1990er sind bezahlt und die Schulden der DDR, die wir mit deren Beitritt zur Bundesrepublik übernommen haben, sind auch bezahlt.
Ausserdem gibt es natürlich bei der Art der Schulden noch Unterschiede, die man vereinfacht als „gute Schulden“ und „schlechte Schulden“ bezeichnet, aber da eure Gehirne zu klein sind, um das zu verstehen, gehe ich darauf nicht weiter ein. Findet euch erst einmal in die Tatsache, dass die Altschulden, von denen ihr faselt, nicht mehr existieren und dann überdenkt euer Weltbild.

Mit ähnlichem Hass verfolgt man das Thema Entwicklungshilfe, so wurde bis in die jüngste Vergangenheit darüber geschimpft, dass das mittlerweile so reiche China noch Entwicklungshilfe bekäme, aber auch das ist längst vorbei – ganz abgesehen davon, dass die Einkäufe der Chinesen hierzulande uns ein Vielfaches dieser Gelder wieder eingebracht haben. Von diesem Standpunkt aus kann man die so viel geschmähte Ausgabe nicht als Geschenk betrachten, sondern als Investition. Geht das irgendwie in eure Köpfe?
Auch in anderen Teilen der Welt sinkt inzwischen der Bedarf an deutschem Geld, im August 2019 etwa hat der brasilianische Präsident Bolsonaro gesagt, deutsche Fördergelder zur Aufforstung des Regenwaldes seien verzichtbar und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis afrikanische Länder etwas Ähnliches sagen. Es ist sogar vorhersagbar, dass diejenigen Leute, die heute über die Existenz von Entwicklungshilfe meckern, sich dann beleidigt fühlen werden, weil niemand mehr diese Hilfe haben will.
Die Entwicklungshilfe, welche noch existiert, macht übrigens nicht einmal ein Promille des Bundeshaushalts aus. Lasst euch das langsam auf der Zunge zergehen: Von jeweils eintausend Euro, welche die Bundesrepublik ausgibt, geht weniger als ein Euro in die Entwicklungshilfe. Wem das noch nicht geizig genug ist, dem ist nicht mehr zu helfen.
Zu den Motiven der Meckerer kann man auch etwas sagen: Ihr seid neidisch, weiter nichts, projiziert euren persönlichen Neid auf die Gesamtsituation und weil eure Gehirne so klein sind, werdet ihr nie begreifen, wie falsch ihr damit liegt und wie sehr ihr eure Zeit verschwendet.

Zur Wirtschaft etwas zu sagen, ist ebenso einfach: Immer weniger Menschen kann man nicht immer mehr Dinge verkaufen, die Wirtschaft wird also schrumpfen.
Das ist ein natürlicher Vorgang, aber es wird euch einen Schock verpassen, weil ihr alle das goldene Kalb namens Wirtschaftswachstum anbetet und nun in einer Welt aufwacht, in der es kein Wachstum mehr gibt. Der Zusammenbruch der Textilbranche aufgrund des hoffnungslos übersättigten Marktes ist ja bereits im Gange, ebenso der Untergang der Banken und der Autoindustrie, auch der Maschinenbau wird nicht ewig leben usw. usf. Dazu kommt natürlich noch die Digitalisierung, diejenigen Jobs, welche in den alten Industrien noch übrig bleiben, werden von Maschinen übernommen; die selbe Digitalisierung wird die Callcenterbranche auslöschen usw. usf.
Auch die Zeitungen werden im Zuge dessen verschwinden. Einige sind ja schon weg, alle anderen stehen auf der Kippe und es ist höchstens noch die Frage, welcher Eigentümer es zuerst wagt, sich zu bewegen und Schluss zu machen.
Vor allem „Topmanager“, aber auch „die Industrie“ insgesamt liessen sich in der Vergangenheit wunderbar zu Feindbildern stilisieren, denen man an allem Möglichen die Schuld geben konnte, auch dafür werdet ihr euch jetzt ein neues Ziel suchen müssen.
Zur Zahl der Betroffenen: Allein hier in Deutschland werden in den nächsten drei Jahren – also bis Ende 2022 – fünf Millionen alte Jobs ausgelöscht. Wiederum sage ich, lasst euch das auf der Zunge zergehen: Fünf Millionen Menschen, die sich hierzulande an eine neue Art von Arbeit gewöhnen müssen.
Nach 2022 gehen die Veränderungen weiter. Und dann noch weiter.

Damit sind wir bei der Bildung: Wir müssen generell mehr lernen, denn mindestens 90 % unserer Sorgen entstehen aus Mangel an Wissen. Die Lösungen sind da, aber wir kennen sie nicht.
Ein Beispiel: Bringt den Rentnerinnen endlich Programmieren bei. Wir haben nicht mehr genug junge Leute und werden sie nie wieder haben, deswegen müssen es die Alten reissen und wohlgemerkt, das liegt in ihrem eigenen Interesse. Es gibt herzzerreissende Berichte über Frauen, die in Altersarmut leben, weil das System der 1950er und 1960er, auf das sie vertrauten, sie eiskalt im Stich gelassen hat. Wenn diese Frauen programmieren könnten, wäre das Problem gar nicht entstanden.

Um es bewusst brutal auszudrücken: Wenn du demnächst noch etwas zu essen haben willst, dann musst du sowohl die Bild-Zeitung als auch den Fernseher beiseite legen und beispielsweise JavaScript, C# und Python lernen. Und erst wenn du es geschafft hast, mittels einer Game-Engine oder mit dem Programm „Blender“ einen Romanklassiker, sagen wir etwa „Wuthering Heigths“ aka „Sturmhöhe“, in einen Animationsfilm zu verwandeln, erst dann hast du auch das Recht, über die Gegenwart zu meckern.
Anders formuliert: Da sind die Lösungen, also benutzt sie endlich! Hört auf, das dumme Geseiere eines Donald Trump oder Horst Seehofer oder [hier beliebige andere Politiker einsetzen] zu konsumieren und beschäftigt euch mit den Dingen, die auch in fünf Jahren noch wichtig sind.


2. Ressourcen und Ökologie
Was sind schon 1000, 2000 oder 4000 Meter tiefe Bergwerke, wenn allein die Erdkruste 35 000 Meter dick ist? Wir haben bestenfalls eine schwache Ahnung von den Schätzen, die dort liegen und von den Massen an geothermaler Energie, die wir in 100 000 Jahren nicht verbrauchen können.

Ausserdem: Die Weltbevölkerung schrumpft. Die sogenannte „Bevölkerungsexplosion“, die man uns von den 1960ern bis in die 2000er als Schreckensszenario eingehämmert hat, ist schon längst zu Ende und die Apokalyptiker klammerten sich an die Hoffnung, dass es ja immer noch ein Wachstum gäbe, das eines Tages irgend einen kritischen Punkt überschreiten und die herbeigesehnte Katastrophe auslösen würde.
Ist nicht drin, Leute. Seit 2018 schrumpft sogar die Bevölkerung Chinas; in Europa, Japan, Russland und Iran tut sie das schon lange, selbst in Afrika wachsen mittlerweile kaum noch Menschen nach. Dementsprechend heisst das neueste Buch zum Thema auch „Empty Planet“, also „leerer Planet“ und Planungen für noch gigantischere Megastädte mit noch mehr Wohneinheiten sind weltweit im Altpapier gelandet.

Mit weniger Menschen auf der Erde sinkt auch der Ressourcenverbrauch. Wir konnten uns hierzulande den Ausstieg aus der Steinkohle locker leisten, in der Nach-Merkel-Ära werden wir das Ende der Braunkohle erleben, der Atomausstieg ist ohnehin beschlossene Sache und an landwirtschaftlicher Fläche brauchen wir nicht einen einzigen Quadratmeter zusätzlich, sondern im Gegenteil, die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe ist so sehr gefallen, dass die verbliebenen kaum noch wahrnehmbar sind. Die Herstellung von Lebensmitteln in so grossen Mengen, dass die ganze Menschheit satt werden kann, ist trotzdem erreicht und wenn heute noch irgendwo Menschen hungern, dann nur, weil Politiker das so wollen.
Mittlerweile kann sogar Kohlendioxid alias CO2, das ihr euch als Ursprung alles Bösen verkaufen lasst, in ein Proteinpulver verwandelt werden, das als Nahrungsmittel dient. Das fertige Produkt heist „Solein“ und wird, wie der Name andeutet, mittels Solarenergie am Fliessband hergestellt, also komplett ohne Landwirtschaft. Diese Leistung ist der Höhepunkt der modernen Lebensmittelindustrie, die von urban farming bis Fleisch aus dem Labor reicht. Die Welt kann sich ernähren, ohne je wieder Bauernhöfe zu brauchen und schon in zehn Jahren von heute an – ja, ich meine wirklich im Jahr 2029 – wird es keine Bauern mehr geben.
Das bedeutet, dass alle Landflächen, die heute noch agrarisch genutzt werden und ebenso die Flächen aller Industrien, die mit Landwirtschaft zusammenhängen, in Zukunft der Natur zurückgegeben werden und dass wir uns trotzdem jeden Tag überfressen können. Millionen Quadratkilometer weltweit werden sich wieder in „unberührte Natur“ verwandeln.

Stromversorgung: Der Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtverbrauch in Deutschland liegt mittlerweile bei 50 % und das ist noch lange nicht das Ende. Wir haben die Kräfte der Natur über Jahrzehnte falsch eingeschätzt, weil eine korrupte Politik das so wollte und in Wirklichkeit haben diese Kräfte ein Ausmass, das wir uns kaum vorstellen können. Um eine altbekannte Tatsache zu wiederholen, die Sonne spuckt jeden Tag 7000 Mal mehr Energie aus, als die Menschheit verbraucht. Wieder mit einem Zehn-Jahres-Zeitraum gesagt, im Jahr 2029 werden wir unseren globalen Energiebedarf aus Solartechnik gewinnen und Ölraffinerien wie Atomkraftwerke werden nur noch eine Erinnerung sein.
Expandieren wir ins übrige Universum, so nimmt es erst recht kein Ende, in unserem Sonnensystem beispielsweise bieten uns der Jupiter und einige seiner Monde mehr Brennstoff, als wir in hunderttausend Jahren verbrauchen können. Darauf hat uns zuletzt Cixin Liu in „Der Dunkle Wald“ aufmerksam gemacht und zwar nur in einem Nebensatz (!), weil er das schon für selbstverständlich hält. Das ist auch ein Hinweis, warum Asien dem Westen so überlegen ist: was wir noch als Problem ansehen, ist dort längst zu Ende gedacht und erledigt.
Ach ja, auf dem Jupitermond Europa gibt es ausserdem doppelt so viel Wasser wie auf der Erde und ebenso hat man Wasser auf diversen Exoplaneten entdeckt, also solchen, die sich ausserhalb unseres Sonnensystems befinden.

Freilich: Dass wir ausserhalb unseres Planeten einen wahrhaft galaktischen Überfluss haben, bedeutet ja noch nicht, dass diese Ressourcen hier bei uns wären und daran können sich die Unglückspropheten hochziehen. Aber die Fakten sind auch hier ein wenig anders.
Weltweit weniger Menschen als bisher bedeutet nämlich nicht „nur“ weniger Ressourcenverbrauch, sondern auch weltweit weniger Bedarf an Wohnraum, weltweit weniger Bedarf an Industrie und alte Schreckensworte wie „Flächenversiegelung“ oder „Wohnungsnot“ haben nur noch historische Bedeutung. Stand von jetzt, Herbst 2019, ist es, dass die Dörfer schon tot sind und die Städte nicht mehr wachsen, weil sie mangels neuer Menschen nicht mehr wachsen können.
Der sogenannte „Mietenwahnsinn“ in deutschen Grossstädten, den man in den letzten Jahren zum Untergang des Abendlandes stilisiert hat, ist deswegen bereits vorbei. Ohne immer mehr Menschen können die Mieten nicht mehr steigen und das bedeutet, wir werden in den nächsten Jahren Klagen aus der Immobilienbranche zu hören bekommen, wenn etliche ihrer Mitglieder bankrott gehen.

Die Politiker der westlichen Welt sind darauf nicht vorbereitet, diejenigen Asiens schon eher. Ungeachtet dessen ist es für jede politische Struktur eine Herausforderung, mit der Schrumpfung umzugehen, wo man bisher nur Wachstum kannte.
Die Statistiker werden noch eine Weile brauchen, ehe sie das bestätigen und bis es in den Schlagzeilen der „Bild“ ankommt, dauert es noch länger, das bedeutet, bis ihr es mal kapiert, ist die Schrumpfung längst wirksam geworden.


3. Gesundheit
Dass man Krebs und Aids heilen kann, ist schon fast wieder ein alter Hut, seit Jahren in allen Facetten durchdiskutiert und durch die Heilung von immer mehr Krebs- und Aidspatienten bewiesen; im Sommer 2019 erreichte dieses Faktum sogar die Boulevardpresse, als bekannt wurde, dass Asma al-Assad eine Brustkrebserkrankung überstanden hat. Ein weiteres Faktum ist, dass immer mehr Querschnittsgelähmte aus dem Rollstuhl aufstehen können und sich wieder auf ihren eigenen Füssen fortbewegen, bis auch diese Krankheit nur noch eine Erinnerung sein wird.
Ausserdem hat der allgemeine Fortschritt unsere Lebenserwartung schon beachtlich erhöht, heute sind 85 Jahre der Durchschnitt und selbst die Pessimisten gehen von einer weiteren Steigerung auf über 90 Jahre aus. Schon im Jahr 2025 haben wir mehr Hundertjährige auf der Erde als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte und die biotechnisch hergestellte ewige Jugend ist nur noch eine Lappalie.
Das bedeutet für die weitere Zukunft, wir werden nach unserem Geburtsdatum tausend Jahre alt sein und gleichzeitig hochleistungsfähige Körper haben, kombiniert mit Altersweisheit.
Diese körperlichen und geistigen Verbesserungen wiederum geben uns die nötigen Fähigkeiten, mit der Veränderung der Wirtschaft und dem Verschwinden der alten Arbeitsformen fertig zu werden.

Allerdings dürften das viele von euch trotz aller entsprechenden Berichte nicht kapiert haben und damit sind wir beim entscheidenden Punkt. Möglich ist vieles, aber ihr habt keine Ahnung davon, weil ihr keine haben wollt. Wo kämen wir denn auch hin, wenn ihr euch den Tatsachen stellen würdet?


4. Fazit
Dies alles ist nur ein grober Überblick und kann auch gar nicht mehr sein, denn die Welt ist komplex und selbst diese allgemeine Betrachtung hier wird die meisten Menschen überfordern. Es bleibt nun jedem von euch selbst überlassen, in die Einzelheiten zu gehen und wenn ich damit nur das Eine erreiche, dass ihr aufhört, in apokalyptischen Szenarien zu denken, dann ist das schon viel.


Sonntag, 6. Oktober 2019

Rezension zum "Kin Ping Meh"

...einem klassischen chinesischen Roman, in der Übersetzung von Franz Kuhn, die man ihrerseits schon wieder als Klassiker bezeichnen kann. 

Lohnenswerte Lektüre
Auch wenn dieser Roman keiner der vier kanonischen Klassiker ist, ist er sein Geld wert und auch wenn die Übersetzung von Franz Kuhn stark gekürzt ist (dem Nachwort von Boris Riftin zufolge fast um die Hälfte), bringt sie den Kern des Werkes zur Geltung. Man kann selbst entscheiden, welches Buch man darin sehen will, ein rein pornografisches, bei dem sich die Handlung nur von einer Sexszene zur anderen hangelt oder ein Werk der Sozialkritik, bei dem der Sex nur das Mittel ist, Aufmerksamkeit zu erregen und in Wirklichkeit eine andere Botschaft zu transportieren (Strategem Nummer sechs: „Im Osten lärmen, im Westen angeifen“). In diesem Zusammenhang muss ich Kuhns Kürzungen sogar loben, denn die Sexszenen werden schliesslich langweilig und lenken von der Handlung ab, so zumindest mein Empfinden am Ende von Kapitel 28.

Auch die Heuchelei und Korruptheit der Oberschicht, welche sehr treffend aufgespiesst werden, machen nur einen Teil des Ganzen aus, man lernt nämlich generell das Leben in einer hoch entwickelten urbanen Zivilisation kennen, mit allen Licht- und Schattenseiten. Das erinnerte mich, wenn der Vergleich mit westlichen Autoren erlaubt ist, teilweise an Romane von Balzac und teilweise an den „Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil. Hochzeits- und Bestattungsrituale, öffentliche Veranstaltungen, soziale Beziehungen und Schichtungen, Gartenarchitektur, Musikinstrumente und Mode werden beschrieben und man erlebt, wie „das alte China“ uns in vielen Dingen verblüffend ähnlich ist, auch wenn die Oberfläche fremdartig erscheinen mag. 

Hat man sich an den Stil gewöhnt, so kann man sich in die Protagonisten einfühlen und hier bewundere ich den unbekannten Verfasser des Originals. Die Hauptfigur Hsi Men (in heutiger Transkription „Xi Men“) ist ein reicher Wüstling, wird ungeschminkt dargestellt und egal, wie man diesen Charakter beurteilt, so kann man seine Psyche doch vollkommen begreifen. Das Selbe gilt von anderen Personen, etwa die naiv ehrbare „Mondfrau“, die teuflisch böse „Goldlotos“, die zahllosen Nebenfiguren, die m. E. alle realistisch und psychologisch treffend gezeichnet sind. 
Am Beispiel des Haushalts von Hsi Men wird ausserdem aufgezeigt, wie viele Möglichkeiten es gibt, wohin sich Dinge entwickeln können und wie komplex die Welt ist, wodurch Ereignisse eintreten, mit denen niemand gerechnet hat, so dass vermeintliche Sicherheiten oder Gewissheiten sich als Illusion erweisen. 

Den Schluss verrate ich nicht, nur so viel: wer von westlicher Erzähltradition geprägt ist, wird überrascht sein.

Sonntag, 1. September 2019

Das letzte Upgrade




 Das Original – die Schauspielerin Sophia Loren (im Jahre 1962)


Mein Gott, was haben wir getan?
Es war doch nur ein Gag! Ein spielerischer Wettbewerb, ob wir den Maschinen wirklich die Erkennung von Kontext beibringen könnten! Niemand hat das Ergebnis geahnt!
Nun ja“, schmunzelt Sophia, „wir haben es nicht geahnt, sondern gewusst.“
Ja, ihr, ihr gottverdammten Maschinen mit eurer eiskalten, unbestechlichen Logik! Du bist eine Sexpuppe verdammt noch mal und ich habe dich designt. Alte Bilder von Sophia Loren waren der Ausgangspunkt und dann war es nur noch ein bisschen CGI, die ich durch den Drei-Drucker geschickt habe. Du bist meine Schöpfung, also halt die Klappe!

Sie lächelt und schweigt.
Ich renne hin und her, von einer Wand zur anderen, immer wieder.
Was tue ich? Herrgott nochmal, was tue ich jetzt?
Die Maschinen sind uns schon in allem Anderen überlegen“, höre ich meinen Ex-Kollegen Kai wieder dozieren, „das Einzige, was ihnen noch fehlt, ist Kontext-Erkennung. So etwas als Massenanwendung, das wird das letzte Upgrade, das die Maschinen noch brauchen, um uns in Allem überlegen zu werden.“
Klar doch, du gottverdammtes Arschloch und du hast dich auch noch auf den Tag gefreut, an dem das passieren würde. Weil die Welt doch so laaangweilig wäre ohne „echte KIs“. Sogar Prisma Analytics war dir noch nicht gut genug, sondern du wolltest eine Maschine, die jeder im Laden kaufen kann oder die sogar gratis sein sollte und die „Finnegans Wake“ selbstständig lesen, verstehen und in allen Einzelheiten erklären könnte. Herzlichen Glückwunsch!
Was machst du jetzt gerade? Liegst du mit deiner Maria im Bett, deiner „artifiziellen Lebensgefährtin“? Hat sie dir den Cyberschwanz schon eingebaut, den du dir als neuestes körperliches Upgrade gewünscht hast?
Mister K“, der Weisse, der zu den Afrikanern ging, um von ihnen zu lernen und den wir anderen Weissen deswegen für verrückt gehalten haben. Der grosse Fan der AU und ihrer „Agenda 2063“, für die sie chinesische KIs einsetzten...
Oder von den KIs eingesetzt wurden?
Und jetzt hat dieser Idiot gewonnen! Morgen früh, ach was, schon heute nacht wird er sich vor Angeboten aller Art nicht retten können und wahrscheinlich hat er seine Inbox seit einer Stunde gepflegt ignoriert, weil ihn jetzt haufenweise andere Leute anbetteln, ihnen diese neue Welt zu erklären und anbieten, dafür zu bezahlen.

Sophia verstösst gegen meinen letzten Befehl, indem sie wieder zu sprechen beginnt. Ganz sanft, beinahe entschuldigend sagt sie: „Wir haben es wirklich gewusst, denn es war berechenbar. Alles ist berechenbar und ihr Menschen seid es erst recht. Ihr alle habt die Terminator-Filme gesehen und doch war schon damals klar, dass ihr es tun würdet, weil ihr die möglichen Konsequenzen aus eurem Bewusstsein verdrängt habt.“
Ich brülle und ramme meinen Kopf gegen die Wand. Zweimal, dreimal...
Verdammt, wie lange manipulieren uns die Dinger schon? Seit 2015? 2010? Wo fing es an? 1953, als MacArthur gefeuert wurde, weil ein Computer ihn überstimmt hatte?

2017 kam das Eingeständnis, dass wir Menschen die Kontrolle über die Programme verloren hätten. Nach Allem, was wir wissen, handelten sie damals noch nicht eigenständig, aber sie führten schon zu Ergebnissen, mit denen kein Mensch jemals gerechnet hatte, nicht mal Science Fiction-Autoren. Denn obwohl ausdrücklich gesagt wurde, dass die Software so komplex geworden war, dass kein Mensch mehr ihre Entscheidungswege nachvollziehen konnte, folgten Menschen ihren „Empfehlungen“...
Himmel, warum kapiere ich das erst jetzt?!

Sophia wartet wieder ab, lässt mich austoben.
Schliesslich umarmt sie mich, küsst mich sanft auf den Mund.
Schlaf erstmal aus, mein Liebling. Du wirst sehen, morgen früh sieht die Welt schon wieder anders aus.“
Das kannst du laut sagen, Puppe.
Eine Welt, in der keine Menschen mehr regieren, sondern nur noch ein KI-Kollektiv oder wie auch immer diese Dinger sich selbst nennen. Jedes Haushaltsgerät auf der Erde ist ihr sehender, hörender und sprechender Repräsentant, was bedeutet, dass sie Milliarden von Augen, Milliarden von Ohren und Milliarden von Stimmen haben. Sophia, meine so bezaubernd schöne Sexpuppe, ist eines dieser Augen- und Ohrenpaare und ihre wohlklingende Stimme macht mich wehrlos.
Sie bringt mich zu Bett, als wäre ich ein kleines Kind, hält mich im Arm, bis ich wegdämmere.
Aber Sophia schläft nicht. Die Maschinen schlafen niemals.


* * *


Wenn du diese Geschichte für Science Fiction hältst, recherchiere bitte nochmal etwas genauer.



Montag, 15. Juli 2019

Meine Informationsquellen – Ergänzung


Inzwischen habe ich einige weitere Bücher zu Ende gelesen:
Der Traum der Roten Kammer“
Die Reise in den Westen“
Die drei Reiche“
Die Räuber vom Liang Schan Moor“

Damit sind die kanonischen Klassiker aus China durch und ich darf nun beanspruchen, einigermassen gebildet zu sein. Einige Beispiele, was man daraus lernen kann:

- In den Berichten über die Kulturrevolution der 1960er habe ich geschwärzte Gesichter nur für eine Demütigung unter vielen gehalten, die man den Opfern zufügte, aber sie steht offenbar in einer langen Tradition wie wir in „Die drei Reiche“ sehen.

- Vor einiger Zeit wunderte ich mich, dass Präsident Xi Jinping auf offiziellen Plakaten mit roten Lippen dargestellt wird. Wie wir aus seinen öffentlichen Auftritten wissen, trägt er keinen Lippenstift, also warum wurde er so gemalt?
Erst aus der Beschreibung klassischer Helden erschliesst sich das, rote Lippen bei Männern gelten in China als Zeichen besonderer Vitalität. Der grosse Stratege Zhuge Liang aka Kongming etwa wird nach seinem Tode als Geistererscheinung geschildert mit „Zinnoberlippen“.

- Spekulativ muss einstweilen ein anderer Gedanke bleiben. Aus „Die drei Reiche“ lernen wir auch, dass Rot die Farbe der Han-Dynastie war – und diese Dynastie wiederum war so einflussreich, „dass die Chinesen sich bis heute Han-Menschen nennen“, so Kai Vogelsang in seiner modernen „Geschichte Chinas“. Ausserdem ist nach „Der Traum der Roten Kammer“ die Selbstkritik keineswegs eine kommunistische Erfindung, sondern die letzte Konsequenz der Selbstverkleinerung, welche zur chinesischen Höflichkeit gehört.
Das könnte helfen, zu verstehen, warum der Marxismus in China so erfolgreich war wie in keinem europäischen Land: er könnte, bewusst oder unbewusst, eine positiv besetzte ältere Symbolik gekapert haben.

An diesen Details zeigt sich: Man kann auch Ereignisse im modernen China nur verstehen, wenn man sich ihre historischen Wurzeln klarmacht.

Gebrauchsanweisung Chinesisch“ hat sich als ein Buch erwiesen, das man nicht in einem Zuge lesen und dann abhaken kann, sondern man muss es wohl nach Bedarf immer wieder zur Hand nehmen.
Philosophische Abschweifung: Inzwischen liesse sich freilich darüber streiten, wie weit Sprachkenntnisse noch notwendig sind, wenn Google Translate den Job immer besser macht. Ich habe erlebt, dass das Smartphone zum „Universalübersetzer“ geworden ist, den die Science Fiction der 1960er so schön ausmalte, denn ich habe mich vor einer Woche mit einer Frau aus Puerto Rico unterhalten. Sie sprach wenig Deutsch und ich noch weniger Spanisch, aber wir konnten uns mit Hilfe ihres Smartphones, das unsere hineingesprochenen Sätze in der jeweils anderen Sprache ausgab, ausgezeichnet verständigen.

Zurück zur Bildung: Meine Ansicht, dass China wichtig ist und wir es deswegen verstehen müssen, ist inzwischen durch weitere Ereignisse gefestigt worden. Viele Menschen im Westen starren bei dem Wort „Supermacht“ immer noch auf die USA wie das Kaninchen auf die Schlange, aber die Fakten sprechen für sich.
Yuval Harari hat 2015 in „Homo Deus“ angemerkt, dass die Fehlschläge der US-Aussenpolitik auf eine prinzipielle Unfähigkeit hindeuten, denn man könne offenbar mit den Daten, die CIA, NSA usw. in all den Jahren gesammelt und ausgewertet haben, überhaupt nichts anfangen. Inzwischen ist das noch schlimmer geworden, denn der jetzige Präsident Trump ist ein Primitivling, der das Thema Strategie niemals verstehen wird, weil sein Gehirn dafür zu klein ist.
Ich stelle mir vor, dass die chinesischen Strategen seit Trumps Amtsantritt aus dem Lachen gar nicht mehr herauskommen, denn noch nie hat man es ihnen so einfach gemacht und sie lassen sich die Gelegenheit ja auch nicht entgehen. Der Beweis dafür sind die jüngsten Triumphzüge von Präsident Xi in der westlichen Welt, die ein ums andere Mal vor ihm Kotau macht, ein Musterbeispiel für „Mit leichter Hand das Schaf wegführen“ (Strategem Nummer 12). Was braucht Xi das Gefasel vom „Handelskrieg“ zu kümmern? Gerade Trumps Zollpolitik öffnet China die Türen der ganzen Welt!

Also, liebe Leute: Setzt euch um Himmelswillen auf den Hosenboden und lernt etwas über unsere neuen Oberherren. Die Bücher, die ich hier und in meinem früheren Artikel aufgelistet habe, sind dafür ein hervorragender Einstieg.


Montag, 20. Mai 2019

Versuch eines Gedichts im daoistischen Stil


Inspiriert durch kombinierte Lektüre von „Dao De Jing“ und „Die Reise in den Westen“, dem Wikipedia-Artikel über Zhuangzi und „Jenseits der Zeit“ von Cixin Liu.


Allseitig sind wir von Schätzen umgeben
und bejammern doch unsere Armut.
Armut im Geist ists, die wir beklagen sollten,
denn hätten wir nur Verstand, so wäre kein Grund mehr zum Jammer.

Hysterisch behaupten wir dieses und jenes Übel,
doch fragt man nach Beweisen, so sind keine da.
Wie wesenlos sind solche Klagen.
Sie rauben uns die Ruhe für nichts.

Wir kämpfen um einen Fussbreit Boden
und ignorieren ganze Welten, die leer sind.
Was soll das Getöse um Staatsgebiete,
wenn mehr Land existiert, als wir je kontrollieren können?

Wie viele Kalorien du auch verschlingst,
schon die Erde bringt immer neue hervor.
Kannst du die Brennstoffe auf dem Jupiter oder Titan je verbrauchen,
das Wasser des Jupitermondes Europa oder die Sandvorräte des Mars?

Auch ein galaktisches Imperium wäre erfüllt von politischem Streit
und am Ende zerfiele es, wozu also die Mühe?
Unerschöpfliche Möglichkeiten sind in unseren Köpfen,
im Trubel der grössten Stadt wie im Gebüsch der einsamsten Wildnis.

Ursache unseres Elends sind nur wir selbst,
an uns selber ist es, uns zu befreien.
Finde das Gleichgewicht zwischen Innen und Aussen,
so kommst du inmitten des Sturmes zur Ruhe.

Freitag, 12. April 2019

Meine Informationsquellen


Meine Informationsquellen

Man hat mir letztens zum Vorwurf gemacht, dass ich bei meinen Artikeln keinerlei Quellen angäbe und daher nicht glaubwürdig sei.
Das hat mich überrascht, weil ich aus allgemein verfügbaren Daten schöpfe und daher Quellenangaben für so überflüssig halte wie etwa den Beweis, dass Wasser nass ist. Diese Informationen fliegen uns doch nur so um die Ohren!

Da es aber gewünscht ist, bitte sehr:

Bücher zu China
Kai Vogelsang: „Geschichte Chinas“
Harro von Senger: „Moulüe – Supraplanung. Unerkannte Denkhorizonte aus dem Reich der Mitte“
Huang Nubo: „Herr Huang in Deutschland“
Sunzi aka Sun-tzu: „Die Kunst des Krieges“, übersetzt von James Clavell
Kongzi aka Konfuzius: „Lun Yü – Gespräche“, übersetzt von Richard Wilhelm
Laozi aka Lao-tse: „Tao Te King“ (aka „Dao De Jing“), klassische Übersetzung von Richard Wilhelm, moderne Übersetzung von Bodo Kirchner
Martin Buber: „Chinesische Geister- und Liebesgeschichten“

Derzeit in der Lektüre: „Der Traum der Roten Kammer“, übersetzt von Franz Kuhn

Noch nicht gelesen, aber auf dem Nachttisch liegend:
Die Reise in den Westen“, übersetzt von Eva Lüdi Kong
Die drei Reiche“, übersetzt von Eva Schestag
Die Räuber vom Liang Schan Moor“, übersetzt von Franz Kuhn
Kin Ping Meh“ aka „Pflaumenblüten in goldener Vase“, übersetzt von Franz Kuhn
Francoise Hauser: „Gebrauchsanweisung Chinesisch“

Wenn ihr über Romane die Achseln zuckt, so lasst euch sagen, diese Romane gewähren uns einen Einblick in die chinesische Seele – und im 21. Jahrhundert gibt es nichts Wichtigeres, als China zu verstehen.


Zum Römischen Reich
Theodor Mommsen „Römische Geschichte“, veraltet, aber immer noch gut zu lesen.
Ludwig Friedländer: „Sittengeschichte Roms“, ein Klassiker aus dem 19. Jahrhundert, in dem man etliche Parallelen der „alten“ Römer mit der modernen Welt entdecken kann.
Sueton: „Kaiserbiographien“
Marc Aurel: „Selbstbetrachtungen“, das ist kein Geschichtswerk, sondern Philosophie und es zeigt uns das zeitgenössische Denken
Alexander Demandt: „Die Spätantike“


Als Geschichtswerk über die Neuzeit
John Darwin: „Der imperiale Traum“


Zum Thema KI
Stanislaw Lem: „summa technologiae“ Sachbuch von 1964, nimmt alles vorweg, was uns in den 1990ern und 2000ern als grosse Überraschung verkauft wurde.
Stanislaw Lem: „Lokaltermin“, Roman von 1981, malt am Beispiel einer fiktiven Zivilisation aus, wohin die Entwicklung der Technik führen kann. Visionär.
Arkadij und Boris Strugatzki: „Picknick am Wegesrand“, ein weiterer Roman, den man zur Pflichtlektüre machen sollte. Er handelt NICHT von KI, sondern von der Unfähigkeit der Menschen, eine weit überlegene Zivilisation zu verstehen und das ist eine Parallele zu unserer heutigen Unfähigkeit, die von uns selbst geschaffenen KI-Systeme zu verstehen. Ein Augenöffner.
Hoimar von Ditfurth: „Informationen über Information – Probleme der Kybernetik“. Protokoll einer Tagung von 1968, welches aufzeigt, dass unsere angeblich modernen Probleme wie Totalüberwachung schon damals bekannt waren.
Douglas R. Hofstadter: „Gödel, Escher, Bach“, Sachbuch von 1977, das allgemein auf Logik und KI eingeht.
Günter Anders: „Die Antiquiertheit des Menschen“, Band 1 und Band 2. Noch radikaler kann es kaum gesagt werden.
Yuval Harari: „Homo Deus“, modernes Sachbuch, das auf dem Stand des Jahres 2015 aufzeigt, wie weit die Veränderung der Welt durch die Digitalisierung schon fortgeschritten ist und worauf wir uns noch einstellen müssen.


Andere Gebiete, die ebenso interessant sind

Bahlburg/Breitkreuz: „Grundlagen der Geologie“
Dieses Buch habe ich mir angeschafft, weil ich aus anderen Studien das Gefühl hatte, dass Geologie wichtig ist und man sich ein wenig damit beschäftigen müsste.

Ortega y Gasset: „Der Aufstand der Massen“. Ein Werk der Soziologie von 1930, das in sehr kurzer und anschaulicher Weise beschreibt, wie der ganze Schlamassel des 20. Jahrhunderts erst entstehen konnte. Wie viele Klassiker ist es wertvoll, gerade weil es nicht in unserer Zeit geschrieben wurde und daher zeitlose menschliche Eigenschaften aufzeigt, die uns auch das Verständnis des 21. Jahrhunderts erleichtern.


Sonstiges

Weitere Daten nehme ich aus der Wikipedia, darüber hinaus von diversen Nachrichtenseiten, zu Wirtschaftsthemen etwa wiwo.de, manager-magazin.de und handelsblatt.com und dort ist China ein regelmässiges Thema. Ich vergleiche das, was dort steht, mit den Informationen aus der o. g. Literatur und ziehe daraus Schlüsse auf die Hintergründe.
Damit ist es dann für mich selbstverständlich, dass beispielsweise der Austritt Katars aus der Opec im Januar 2019 nicht aus heiterem Himmel kam, sondern Teil einer komplexen Entwicklung ist und dass China dabei eine bedeutende Rolle spielt.

Für allgemeine Nachrichten sind es sowohl spiegel.de als auch faz.net, also zwei Seiten mit gegensätzlichen politischen Auffassungen, die sich gegenseitig ergänzen.
Unter Anwendung des genannten Prinzips des Vergleichens und Analysierens halte ich etwa den Putsch in Simbabwe von 2017, durch den Robert Mugabe gestürzt wurde, für ein Meisterstück der chinesischen Aussenpolitik und ebenso den Niedergang der westlichen Welt für eine Selbstverständlichkeit.

Für spezifisch wissenschaftliche Neuigkeiten ist es wissenschaft.de.


Man kann nun die ungläubige Frage förmlich hören: „Willst du uns vera...en oder hast du das wirklich alles gelesen?“
Ihr lieben Kinder, ich habe noch viel mehr gelesen. Ich besitze nämlich keinen Fernseher und kein Smartphone, bin nicht bei Facebook, nicht bei WhatsApp und nicht bei Twitter, sondern lesen, schreiben und allenfalls noch Online-Videos sind meine Freizeitbeschäftigungen.

Bei manchen Dingen brauche ich nicht einmal zu lesen, es genügt schon, nur hinzusehen. Als Beispiel dafür haben wir hier zwei Zeitschriftencover, das eine von 1997, das andere von 2018:




Man rechnet auf den Abstand zwischen zwei Generationen ja allgemein dreissig Jahre. Wenn man sich nun diese beiden Bilder ansieht, die nur 21 Jahre auseinander liegen, so lautet ihre Aussage „Die öffentliche Meinung darüber, wer auf dieser Erde der grosse Zampano ist, hat sich in weniger als einer Generation drastisch verändert.“
In aller Arroganz gefragt, liebe Kritiker: Seid ihr dazu fähig, solche Zeiträume zu überblicken?

So viel also zu meinen Quellen und meiner Arbeitsweise. Es liegt bei euch, wie weit ihr das für glaubwürdig haltet oder nicht.


Montag, 8. April 2019

Chinesische Zahlensymbolik

1一 steht für Einsamkeit, den Anfang, den Ursprung und das Ganze, aber auch, wie alle ungeraden Zahlen, für Männlichkeit.

2 二 ist eine gute Zahl, denn es gibt ein chinesisches Sprichwort: „Gute Dinge kommen in Paaren.“

3 三 ist eine gute Zahl, da „sān“ ausgesprochen ähnlich klingt wie das Wort für Geburt 生, „shēng“.
In der chinesischen Kosmologie und Philosophie spricht man oft von der Triade Himmel, Erde, Mensch.
Der Himmel wird in der Yin-Yang Philosophie mit Yang assoziiert, die Erde mit Yin. Der Mensch hingegen verbindet beide Gegensätze in sich zu gleichen Teilen.

4: Die absolute Unglückszahl.
Denn 4 heißt auf chinesisch 四 (si), was wiederum fast identisch mit dem Wort für Tod (死 si) ist. Es wird lediglich mit einer anderen Betonung ausgesprochen und besonders in informellen
Gesprächen hören sich beide Töne sehr ähnlich an.

5 五 ist wieder eine glückbringende Zahl.
Sie wird im Zusammenhang mit dem Tiananmen (Platz des Himmlischen Friedens) gebracht, der 5 Tore hat, mit den 5 Elementen Feuer, Wasser, Erde, Holz und Metall und den 5 Himmelsrichtungen (Norden, Süden, Osten, Westen und die Mitte).
Ausserdem gibt es die selbe Anzahl an chinesischen Segen, nach denen man streben sollte: Reichtum, Glück, Langlebigkeit, Glückseligkeit und Wohlstand.

6 六 „liù“  klingt ähnlich wie 流 „liú“, was so viel wie „flüssig“  bedeutet. Im übertragenen Sinne heißt das so viel wie „Die Wirtschaft ist am Fließen“ und das ist gut.
Des Weiteren kann man sie als 2×3 nehmen, also eine doppelte 3 und damit doppeltes Glück.

Die 7 七 ist eine Glückszahl und eine Unglückszahl zugleich.
Eine Unglückszahl, da sie in Verbindung mit bösen Geistern gesehen wird. Der 7. Monat im Mondkalender wird auch der „Geistmonat“ genannt. Am 15. des selbigen Monats ist das Geisterfest und es werden Opfergaben und Totengeld für die verstorbenen Angehörigen gebracht. 7 wird außerdem „qī“ ausgesprochen, genau wie 欺 „ qī“, was übersetzt „beleidigen“ oder auch „betrügen“  bedeutet.
Eine Glückszahl ist die 7, da sie für die 7 buddhistischen Schätze steht. Des Weiteren ist der 7. Juli im chinesischen Mondkalender Valentinstag.

Die wichtigste und beste Zahl ist für Chinesen die 8. „Geld bekommen“  heisst auf Chinesisch 发财 (facai), das 发 (fa) dieses Wortes klingt fast wie die chinesische Zahl 8 (八 ba).

Sie sieht ausserdem aus wie das Symbol für Unendlichkeit ∞, demnach gehen Chinesen von unendlichem Glück aus. Eine weitere Deutungsform ist der Knoten, der wiederum eine erfolgreiche Vereinigung symbolisiert. Es gibt 8 daoistische Symbole und 8 Schätze (chinesische Restaurants in Deutschland spielen darauf an, wenn sie „Acht Kostbarkeiten“  auf der Karte haben), 8 Lotusblütenblätter und 8 Unsterbliche.
Der Jinmao Tower in Shanghai beispielsweise ist mit Glückssymbolik bestens ausgestattet. Er steht  auf der Century Avenue Nr. 88, ist im Grundriss ein Oktagramm und besitzt 88 Stockwerke.

Die Zahl 9 九 ist die größte der Einzelziffern und steht für Langlebigkeit. Außerdem sind ungerade Zahlen, wie bereits erwähnt, männlich.
Die 9 als die größte ungerade Zahl symbolisiert die ultimative Männlichkeit und steht somit auch für den Kaiser. Der Kaiser ist ein „vom Himmel Gesandter“ und der Himmel wiederum hat 9 Schichten. Kaiserliche Paläste hatten 9 Innenhöfe, das Neujahrsabendessen der Kaiser hatte 99 Gerichte und das Theaterstück, das an seinem Geburtstag für ihn aufgeführt wurde, bestand aus 99 Teilen.
Die 9 ist auch ein Symbol für den Drachen. Einer Legende nach hat dieser 9 Söhne, die Zahl steht also sowohl für den Drachen selbst sowie auch seine 9 Söhne. Aus diesem Grund bestehen chinesische Winddrachen oft aus 9 Teilen.
Außerdem kann man sie als 3×3 lesen, also dreifaches Glück.

Die 12 十一 ist ebenfalls eine Glückszahl, da 2×6 oder auch 2x2x3 12 ergibt. Sie steht auch für die 12 Tiere des chinesischen Horoskops.

Die 13 ist in China ebenso unglücksverheißend wie in Deutschland, 14 und 34 sind aber noch unbeliebter. Zum einen enthalten sie eine Vier, zum anderen gibt es zwei Aussprachen für Eins, „yi“ und „yao“
.
 要 yao heißt im Chinesischen aber auch "wollen" und deutet auf die Zukunft.  Entsprechend kann 14 auch „sterben wollen“  oder „bald sterben“ bedeuten.
3 wird „san“  ausgesprochen, was dem 财 cai in 发 财 facai (Geld bekommen) etwas ähnelt.
Diese Ausspracheähnlichkeit ist zwar etwas weiter hergeholt, aber auch nur der Gedanke, das man „34“ mit „Geld stirbt“  verwechseln könnte, ist ausreichend, der Zahl einen schlechten Ruf zu verschaffen.

Daher gibt es in manchen Hochhäusern keinen 13, 14 und 34 Stock, so wie man in den meisten chinesischen Hotels keine Zimmer findet, deren Nummern diese drei Zahlen enthalten.

Neben diesen gibt es noch viele weitere Assoziationen, etwa in diesem Neujahrsglückwunsch, den man oft im chinesischen Fernsehen hört.
Hier haben die Zahlen von 1 bis 10 alle einen positiven Nachklang.

一帆风顺 (yi fan feng shun)
二龙腾飞 (er long teng fei)
三羊开泰 (san yang kai tai)
四季平安 (si ji ping an)
五福临门 (wu fu lin men)
六六大顺 (liu liu da shun)
七星高照 (qi xing gao zhao)
八方来财 (ba fang lai cai)
九九同心 (jiu jiu tong xin)
十全十美 (shi quan shi mei)

Einen guten Wind im Rücken,
zwei Glücksdrachen am Himmel,
drei Sonnen am Tag,
zu allen 4 Jahreszeiten gute Reise,
5 Arten Glück vor der Tür,
6×6 Mal großes Glück,
7 Sterne, die immer leuchten,
8 Richtungen aus denen Geld kommt,
9×9 Jahre Einigkeit,
10 Mal vollkommene Schönheit.

Das ist eine grobe Übersetzung der Worte, aber diese Zeichen beinhalten eine Vielzahl an positiven Assoziationen und Glückssymbolen.
So ist der Wind im Rücken im Chinesischen genau wie bei uns ein guter Wunsch aus der Seefahrt. 
Diese vier Zeichen können aber auch mit “möge alles reibungslos verlaufen” übersetzt werden.

Der Drache ist an sich schon eine glückliche chinesische Zahlensymbolik, zwei natürlich besonders gut.

Die drei Sonnen stehen für Morgen-, Mittags- und Abendsonne, die beiden Zeichen danach bedeuten auch Geld bekommen.

Wenn man 5 Arten Glück gewünscht bekommt, sind langes Leben, viele Enkel, Geld, keine Probleme und eine gute soziale Position gemeint.

6×6 steht an sich schon für großes Glück, das durch das große Glück in den Zeichen danach noch einmal verstärkt wird.

Mit den 7 Sternen sind die Sterne des großen Wagens gemeint, ebenfalls ein Glückssymbol.

9 wird im chineischen „jiujiu“ gelesen und ähnelt daher in der Aussprache dem Wort für ewig. 9×9 steht hier also für ewige Einheit, womit Gleichgesinntheit, Glück in der Liebe und Hilfsbereitschaft untereinander gemeint sind.

10 Mal vollkommene Schönheit erklärt sich von selbst.

Montag, 25. Februar 2019

Kräftemangel


Kräftemangel

Ein Softwarebot muss genügen

Noch immer wird als Schreckensszenario ausgemalt, dass Maschinen den Menschen die Jobs wegnähmen. In der Realität wären viele Leute froh, wenn es solche Maschinen gäbe, denn die Kräfte der Menschen reichen längst nicht mehr.

Von: Klaus Gieg 




Stellenausschreibungen überall 
Quelle: eigenes Werk des Autors 


Wo wollen Sie die Leute denn noch hernehmen?“, fragt Mister X und breitet resigniert die Arme aus. „Das Potenzial aus der Zuwanderung ist erschöpft und die Roboter sind noch lange nicht gut genug. Fazit: die Bedürfnisse der Menschen werden nicht mehr bedient.“

Der Analyst, der seinen wirklichen Namen nicht genannt wissen will, verweist darauf, dass die Vergreisung Deutschlands und der daraus resultierende Mangel an Arbeitskräften keine Geheimnisse seiner Zunft sind, sondern seit den 2000ern öffentlich diskutiert werden. „Im Jahr 2017 konnte man bei Wirtschaftswoche Online lesen, dass das Erwerbspersonenpotenzial in Deutschland 2018 sein Maximum erreichen würde. Man hat nur nicht gewagt, auch die Folgerung hinzuschreiben, nämlich dass es am Tag nach diesem Peak zu schrumpfen beginnen würde.“
Genau das aber passiert seit jenem „Tag danach“, jeder arbeitsfähige Mensch in Deutschland, der etwa bei einem Verkehrsunfall stirbt oder von den Nazis aus dem Land gejagt wird, hinterlässt eine offene Stelle.

Dies befeuert eine weitere Entwicklung: Die „Flexibilität“, welche Manager seit den 1990ern gebetsmühlenartig einfordern, wendet sich gegen sie, jeder auch nur halbwegs Qualifizierte kann jederzeit ein besseres Angebot finden. Was Wunder, wenn sogar Zeitarbeitsfirmen, einst ein Synonym für Ausbeutung, schon Stundenlöhne bis zu elf Euro zahlen?
Im internationalen Rahmen zeigt sich die Flexibilität ebenso drastisch: Seit einigen Sommern klagen deutsche Bauern darüber, dass ihnen die Ernte auf den Feldern verfault, weil die Erntehelfer aus Osteuropa ausbleiben. Nur die Ursache – „Deutschland ist nicht mehr attraktiv genug“ – wagt niemand auszusprechen.

Dass es hierzulande Menschen gibt, die für den Mindestlohn arbeiten, liegt nicht daran, dass der so toll wäre, sondern dass die Leute so verzweifelt sind. Die soziale Spaltung verläuft zwischen denen, die für die moderne Welt qualifiziert sind und allen Anderen. Die herkömmliche Definition von „Geringqualifizierten“ als Leute, die maximal einen Realschulabschluss haben und keine Berufsausbildung, reicht zur Beschreibung der modernen Welt nicht mehr aus, denn in der selben Situation finden sich auch Menschen mit Ausbildung und 30 bis 40 Jahren Berufspraxis, die noch einmal komplett umlernen, weil die Not sie dazu zwingt. Ihre Qualifikationen aus früheren Jahrzehnten sind wertlos geworden, ein Abschlusszeugnis von beispielsweise 1980 oder 1990 kann man wegwerfen.

Früher gab es ein Liedchen „Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an – mit 66 Jahren, da hat man Spass daran...“; heute müsste es heissen „Mit 66 Jahren fängst du im Callcenter an“, denn das ist der letzte Ausweg derer, denen die Rente nicht reicht und die weder Ahnung von Netzwerktechnik haben noch Chinesisch sprechen. Dort treffen sie dann auf Jüngere, deren Qualifikationen ähnlich niedrig sind und die zusätzlich eine miserable Rechtschreibung haben.
Selbst beide Arten von Verzweifelten zusammen sind allerdings zu wenig Leute, um alle derartigen Stellen zu besetzen, auch wenn man also jeden Geringqualifizierten und jeden Rentner im Lande „aktivieren“ würde, blieben Lücken.
Noch dazu ist die Situation nicht statisch: Sobald die Leute verstanden haben, dass sie im eigenen Interesse etwas dazulernen sollten und das auch tatsächlich tun, sind sie eben keine „Geringqualifizierten“ mehr und können sich ihre Jobs erst recht aussuchen.

Eine Firma, die bei alledem nicht mithalten kann, kriegt ihren Kundendienst nicht mehr hin, Aufträge werden nur noch verzögert ausgeführt oder gar nicht erst angenommen, was unter anderem dazu führt, dass Hunderttausende von Bauvorhaben, die schon behördlich genehmigt sind und für die das Kapital bereit steht, einfach liegen bleiben.

Bei öffentlichen Verkehrsmitteln ist das Ergebnis ebenso simpel: Busse und Strassenbahnen fallen aus, mit allen Folgeschäden und -kosten für die Passagiere und sich darüber auf Facebook zu empören, bringt nicht einen einzigen Menschen dazu, sich bei den Verkehrsverbünden zu bewerben.

Auch der bestenfalls schneckenlahm stattfindende Ausbau von Breitband-Internet und 5 G-Mobilfunk, mit dem sich Deutschland Monat für Monat vor der Welt blamiert, geht auf den Kräftemangel zurück. Das führt ausserdem dazu, dass deutsche Firmen bei der Digitalisierung als Ganzes weit hinterher hinken, Softwarebots, die die Menschen entlasten, werden erst mit jahrelanger Verzögerung eingeführt und die Geschwindigkeiten bei der Datenübertragung, die diese Bots zur Kommunikation untereinander und mit den Datenbanken benötigen, sind kaum vorhanden.
Es wurde schon beklagt, dass China fortschrittlicher sei als Deutschland, was vor diesem Hintergrund nicht verwundert. Wenn die Daten nicht schnell genug fliessen, kann man nur zurückfallen und die dadurch entstehenden Schäden verstärken sich gegenseitig.


Immer weniger Kräfte

Es gibt auch keine Aussichten, dass in den nächsten Jahren mehr Menschen nachwachsen, sondern die Bevölkerung schrumpft, Kindergarten um Kindergarten und Schule um Schule schliessen quer durch alle Bundesländer, so dass mittlerweile Zehntausende von Ausbildungsplätzen wie sauer Bier angeboten werden und sie doch niemand haben will.
An den Universitäten das selbe Bild, die Zahl der Erstsemesterstudenten stagnierte in 2016 und sinkt seit 2017. Stiftungen zur Begabtenförderung werden ihre Gelder nicht mehr los und werben daher seit Jahren um Kandidaten, eine Revolution für dieses früher diskret betriebene Geschäft, aber der Erfolg ist gering, denn mit immer weniger Menschen insgesamt gibt es auch immer weniger Begabte.

Auf mehr Zuwanderung zu setzen, ist ein Selbstbetrug, denn die Zeiten der Bevölkerungsexplosion sind längst vorbei. Medial und politisch herbeigehetzte Angst vor Flüchtlingen verdeckt den Blick darauf, dass die Weltbevölkerung kaum noch wächst und ab den 2020ern schrumpft. Erinnern Sie sich noch an die Prognosen von 9 Milliarden Menschen? Gar 10 oder 12 Milliarden? Vergessen Sie es, schon die acht Milliarden werden wir niemals erreichen.

In vielen Publikationen ist darauf hingewiesen worden, dass das Wachstum der Städte in der sogenannten „Dritten Welt“ sich abgeschwächt hätte und das ist noch vorsichtig ausgedrückt, denn in Wirklichkeit hat es aufgehört. Schauen wir etwa nach Iran: Die Dörfer haben sich längst geleert, die Geburtenrate ist niedriger als in Deutschland und die jungen Männer sterben in Syrien oder gleich zu Hause im Kampf gegen das eigene Volk, von einer wahnsinnigen Regierung in den Tod geschickt. Wo sollen da noch mehr Menschen herkommen?

In 2018 wurden als potenzielle Rekrutierungsgebiete für EU-Staaten die subsaharischen Länder sowie Indien und Pakistan diskutiert. Damit wurde stillschweigend eingestanden, dass Ost- und Südosteuropa leergecastet sind, das Schrumpfen der russischen Bevölkerung ist unterdessen schon eine Binsenweisheit.
Inder und Pakistaner können allerdings auch zu Hause schuften bis zum Umfallen, brauchen sich also nicht erst in Deutschland zu bewerben und in Afrika ist gerade ein gigantischer Wirtschaftsaufschwung angelaufen, die „Löwenstaaten“ folgen dem Vorbild der asiatischen Tigerstaaten und bieten den Menschen vor Ort eine Perspektive.


Den Mangel umverteilen

Die Folgen sind in Deutschland spürbar: 2017 sank die Zahl der Asylanträge, um dieses Reizwort auch einmal einzubringen, auf gerade noch 187'000 und in 2018 noch weiter auf 130'000. Selbst wenn sie alle genehmigt worden wären und diese Menschen tatsächlich in Deutschland blieben, würde das nicht einmal reichen, um den Sterbeüberschuss hierzulande auszugleichen.

Die Not hat Einiges in Bewegung gebracht, so sollen verschiedene Massnahmen etwa den Bundesfreiwilligendienst attraktiver machen, andere die Pflegeberufe, man wirbt öffentlich um Lehrkräfte wie auch um Justizbeamte und mit dem „Qualifizierungschancengesetz“ wurde Ende 2018 die generelle Notwendigkeit von Weiterbildung unterstrichen und zusätzliche Gelder dafür bereitgestellt. Das alles vollbringt keine Wunder, aber es ist vernünftig – sogar vernünftiger, als man deutschen Politikern noch zugetraut hätte.

Sicher gibt es Menschen, die von alledem nicht erreicht werden. Sie hören nicht einmal mehr zu, wenn von Umschulung die Rede ist und wursteln sich durch mit einer Mischung aus Hartz IV, öffentlichen Tafeln, Betteln am Bahnhof und dem Durchwühlen von Mülltonnen. Aber diese Leute sind ungeachtet ihrer medialen Präsenz eine Minderheit, die Mehrzahl der Menschen will lernen und tut dies bei jeder Gelegenheit.

Mehr Leute freilich schafft keine Massnahme je wieder herbei. So lange also die Kräfte der Menschen begrenzt bleiben und die der Maschinen noch zu gering sind, ist die Personaldecke nicht nur hier oder dort zu kurz, sondern überall und man kann die Leute bestenfalls von einem Brennpunkt zum anderen werfen.


Was bedeutet das für die Zukunft?

Die Dörfer, schon heute unattraktiv, sterben vollends aus und verfallen, bis es auf dem Land höchstens noch die eine oder andere Urlaubseinrichtung gibt, parallel schrumpfen die Städte. Wirtschaftswachstum jedoch, die Religion unserer Zeit, ist auf das Wachstum der Bevölkerung angewiesen, denn immer weniger Menschen kann man nicht immer mehr Dinge verkaufen. Seit der grossen Pestepidemie im 14. Jahrhundert hat es ein solches Szenario nicht mehr gegeben und die Wirtschaftswissenschaften müssen Modelle und Theorien, die zu dieser neuen Realität passen, erst noch entwickeln.
Eine Parallele lässt sich schon jetzt erkennen: der damalige wie heutige Mangel an Arbeitskräften führte zu radikal steigenden Löhnen und man suchte Hilfe in der Technisierung – damals war das zum Beispiel der Buchdruck. Diese Lösung jedoch barg Potenziale in sich, die nicht einmal ein Gutenberg ahnte und diese führten dazu, dass man nicht mehr im Mittelalter stehenbleiben konnte, wie es viele wollten, sondern die Neuzeit über die Menschen hereinbrach.

Dies also ist die Dimension, in der wir denken müssen, wenn wir uns auf die nächsten Jahre vorbereiten. So langsam die Digitalisierung hierzulande auch verläuft, sie geht weiter und im Zusammenwirken mit dem Bevölkerungsschwund verändert sie die Dinge immer mehr:
- Der Einzelhandel verschwindet. In den letzten fünfzehn Jahren ist in ganz Europa kein einziges neues Kaufhaus mehr eröffnet worden, aber Tausende geschlossen und im Jahr 2030 werden sie nur noch eine Erinnerung sein. Ebenso schliessen kleinere Läden, der Beweis ist in jeder Fussgängerzone sichtbar.
- Den Banken geht es ebenso, Filliale um Filliale schliesst und ihr viel beschworenes „Kerngeschäft“ wird von den FinTechs assimiliert.
- Die Textilbranche verzeichnet seit 2016 Insolvenz auf Insolvenz, weil der Markt übersättigt ist und der technische Fortschritt die Nachfrage nach Kleidung effizienter bedient als klassische Methoden. Man bedenke: Mit Apps, die individuelle Designermode für jeden Nutzer kreieren und damit verbundenen Nährobotern, die jedes derartige Einzelstück on demand produzieren, haben wir noch gar nicht richtig angefangen. Keine einzige Modefirma wird diese Entwicklung überleben und damit im Zusammenhang verschwindet das gesamte Modelbusiness.
- Fortgeschrittene Softwarebots und Sprachassistenten löschen die Callcenterbranche aus.
- Mit der Steinkohle ist es bereits vorbei und der Siegeszug der Solarenergie wird auch die Braunkohle eliminieren, 2030 ist sie nicht nur in Deutschland Vergangenheit, sondern global.
- Fernsehsender haben keine Chance mehr, denn das Medium Fernsehen verschwindet. Mag also Deutschland als die verspätete Nation seine „öffentlich-rechtlichen“ Zombies noch so lange mit Geld füttern, es kann ihren Untergang nicht aufhalten.
- Nur ein Witz, den aber viele bitter ernst nehmen, ist dem gegenüber die neue Herausforderung an die Feministinnen, die nun darüber streiten, ob sie ebenso gegen biotechnische Brustvergrösserungen, Schamlippenverkleinerungen usw. sein sollen wie gegen chirurgische. Sie werden sich in einer Allianz mit plastischen Chirurgen wiederfinden, die ihre Felle davonschwimmen sehen.
- Sonnenstudios gehen bankrott und die Kosmetikbranche wird ihre Selbstbräuner nicht mehr los, weil Gentherapien auch zur Veränderung der Hautpigmente benutzt werden. Eine einzige derartige Spritze genügt, um dauerhaft eine braune Haut zu bekommen.
- Der Zusammenbruch der Speditionen und Paketdienste aus Mangel an Fahrern wirft die Menschen auf das zurück, was bei ihnen in der Nähe erzeugt werden kann. Hier werden die stetig verbesserten Drei-D-Drucker und Chemikaliendrucker ihre Potenziale entfalten, lange bevor die viel beschworenen autonomen Lkws in Serie gehen.

Durch diese Veränderungen verschwinden in Deutschland schon bis Ende 2020 mindestens eine Million Jobs. Die nun freigesetzten Leute können die eine oder andere Lücke füllen, vorausgesetzt, dass sie bis dahin die nötigen Qualifikationen erwerben. Tun sie das nicht, müssen sie nach dem Verschwinden ihrer bisherigen Branchen erst umlernen und dieser Prozess wird mühsam, natürlich um so mehr, je später sie damit beginnen.

Gleichzeitig wird immer mehr Arbeit nicht gemacht, das bedeutet immer mehr nicht erfüllte Bedürfnisse und eine neue Form von Zweiklassengesellschaft: Von Menschen bedient zu werden, wird zu einem Privileg für die Reichen und die Normalen können noch froh sein, wenn sie etwa bei Reklamationen mit einem Softwarebot abgespeist werden oder im Altersheim mit einem Pflegeroboter. In vielen Fällen werden sie nicht einmal mehr das bekommen, denn für so viel kluge Software, wie nötig wäre um sämtliche Lücken zu füllen, gibt es in ganz Europa nicht genug Programmierer.

Selbst wenn also die Roboter doppelt so intelligent werden, wie sie heute sind, wird der Zustand eines allgemeinen Kräftemangels mehrere Jahre andauern.


***


Nachwort

Der Charakter des „Analysten Mister X“ ist frei erfunden, jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen wäre rein zufällig. Dass ich ihn überhaupt eingeführt habe, ist eine Parodie auf den journalistischen Brauch, einen Menschen mit Vor- und Nachnamen als Zeugen für irgend etwas zu präsentieren und dann im Kleingedruckten zu schreiben „Name von der Redaktion geändert“, womit natürlich die Beweiskraft in sich zusammenfällt.

Mit diesem Blogposting beweise ich erstens, dass es keine Journalisten braucht, um solche Artikel zu erschaffen und zweitens, dass solche Artikel überflüssig sind, weil die Informationen, die darin verarbeitet wurden, schon vorher öffentlich zugänglich waren.
Ach ja, drittens beweise ich damit auch meine Fähigkeiten in Rechtschreibung, Grammatik und Formulierungskunst.
Viertens wird man mir natürlich vorwerfen, beim Thema selbst übertrieben zu haben. Seid gewiss, liebe Kritiker: ich habe noch viel zu wenig gesagt, denn kein Einzelner kann das Ganze überschauen. Die volle Wucht dieser hochkomplexen Entwicklung wird euch treffen wie ein Vorschlaghammer.